Die Zeitrechnung des Metal beginnt in Ostdeutschland erst nach der Wende. So die weitläufige Meinung nicht nur unter den jüngeren Metalheads. Wie sollten die Zonis auch nur den blassesten Schimmer von den Ungeheuerlichkeiten haben, die sich Anfang der 80er weltweit in der Musik ereigneten? Ein unvorstellbarer Gedanke, dass auch in der sächsischen Provinz Jugendliche mit ihren Mopeds zu dem Sound von Judas Priest, Kiss oder AC/DC ihr Städtchen unsicher machten. Noch unvorstellbarer ist eigentlich nur, dass die damalige Obrigkeit des „Bezirk Karl-Marx-Stadt“ diese Bande von Halbstarken gewähren lassen könnte und ihnen, nachdem sie auf über 40 Leute angewachsen sind, eine eigene Räumlichkeit für ihr Hobby zur Verfügung stellt. Diese wahre Geschichte ereignete sich vor über 25 Jahren und irgendwann folgte der logische Entschluss der Halbstarken einen Club zu eröffnen, den es heute immer noch gibt. Warum ich das erzähle? Ebenjener Club veranstaltet seit sechs Jahren ein kleines Festival in seiner Heimat und wir waren diesmal live vor Ort.

FREITAG:

Die erste Band am Freitag mit ihrem zweiten Auftritt überhaupt waren Coming Fall. Mit einem sympathischen Death/Black Gemisch nutzten die Zwickauer den undankbaren Platz als Eröffnungsband um von sich zu überzeugen. Die Jungs darf man im Auge behalten und ein bisschen mehr Routine und Selbstsicherheit wird sich mit der Zeit einstellen.

Steelclad
Steelclad

Steelclad waren dagegen das Selbstvertrauen in Person. Gekleidet in feinstem Spandex und jeder Menge Nieten frönte das deutsch/italienische Gemisch dem traditionellen Heavy Metal. Aber auch für alle fiesen Death und Black Metal Fans sollte sich dieser Auftritt lohnen. Mit einer unbändigen Spielfreude, die sich sofort auf das Publikum übertrug, schüttelten Steelclad auf höchstem spielerischen Niveau einen klassischen Metalsong nach dem anderen aus dem Ärmel. Mit Ansagen wie: „Prost gibt’s nicht, nur Priest!“ waren die Einflüsse nicht zu übersehen: Ob Hair Metal oder NWOBHM, die Jungs nahmen sich das Beste von Judas Priest oder Twisted Sister und schufen daraus ihren komplett eigenen Stil. Auch wenn der Spaß an oberster Stelle stand, sah man ihnen doch an, dass sie diese Musik verdammt Ernst nehmen und wissen, wie man Krachersongs schreibt. Überall konnte man fliegende Haare und grinsende Gesichter wahrnehmen – definitiv einer der besten Auftritte des Wochenendes.

Purgatory
Purgatory

Weiter ging es wieder mit regionaler Musik: Purgatory aus Nossen dürften allerdings auch überregional bekannt sein, schließlich spielen sie in diesem Jahr zum zweiten Mal auf dem Party.San Open Air. Der grindige Old School Death Metal, den die Jungs auf höchstem Niveau und ohne Kompromisse spielen, hat das auch definitiv verdient. Zwar gab es hier keine neuen Erkenntnisse zu gewinnen, aber man wurde doch ausgezeichnet unterhalten. Sehr empfehlenswerte Band!

Artless
Artless

DIE regionale Kapelle des Wochenendes sollten aber Artless stellen. Die Band stammt nicht nur aus dem Heimatort des Moshclubs, sondern stellte auch Teile der Festivalorganisation - da würde ich mir auch den Headlinerstatus verpassen. Ungerechtfertigt war diese Entscheidung aber nicht, die Legitimation wurde wie immer von den anwesenden Leuten verteilt und in diesem Fall eindeutig. Fast alle Zeltbewohner und eine große Menge Tagesgäste sollten das erledigen. Zwischen den Metal Impetus Redakteuren herrschte dagegen leichte Uneinigkeit: der eine will im Gesang und den Songstrukturen Core-artige Elemente ausgemacht haben, für den anderen war es ein modern-melodisches Death-Thrash Gemisch. Wie dem auch sei, das Erfolgsrezept bestand aus vielen Tempowechseln, abwechslungsreichen Arrangements (vor allem im Midtempo-Bereich) und einer ausgezeichneten Bühnenpräsenz.

SAMSTAG:

Nachdem ich seit langer Zeit mal wieder richtig gut auf einem Festival geschlafen habe, wurde der Tag standesgemäß mit einem Bier begrüßt und die Ereignisse des Vortages ausgewertet (Ohne Werbung machen zu wollen: ELEKTRO DEMMRICH!).

Hiam
Hiam

Der Einstieg für diesen langen Tag war clever gewählt. Auch wenn nicht viele Zuhörer dem doomigen Death von Hiam frönten, war es doch ein idealer Einstieg für das spätere Geknüppel der anderen Bands. Die Darbietung entpuppte sich als wirklich eigenständig und viel „chilliger“ kann man Death Metal eigentlich nicht spielen. Parallelen zu Genregrößen wie Swallow The Sun, die mit ihrem Doom ja auch im Death Metal wildern, waren nicht zu übersehen. Vor allem Sänger „Charlatan“ wirkte in seinen Bewegung oft wie der STS Fronter Mikko.

Mortjuri
Mortjuri

Mortjuri waren natürlich eine ganz andere Baustelle. Sympathisch wie immer und ohne schmalzigen Pathos wurde dem Publikum hier ein Set von ausgezeichneten, melodischen Black Metal Hymnen präsentiert. Selbst mit Aushilfskräften oder Neuzugängen verhielt sich die junge Band absolut professionell, aber so langsam wird es Zeit für ein richtiges Album.

Recapture
Recapture

Eins gilt hier mal festzuhalten: nur Frauen sollten Spandexhosen tragen und wer die Sängerin von Recapture gesehen hat, wird mir sicherlich beipflichten. Natürlich war die junge Dame aber nicht nur schmückendes Beiwerk sondern stellte mit ihrem Organ den Mittelpunkt der Band. Für alle Freunde, des unverfälschten Black/Thrash dürfte der Auftritt ein wahres Fest gewesen sein. Bei mir wollte der Funke jedoch nicht überspringen: Zeit für eine Pause.

Spawn
Spawn

Spawn erwischten irgendwie einen schlechten Tag. Erst versagt Sänger Matt die Stimme und dann stellt sich der Fotograf vom Ortsblatt auch noch mitten auf die Bühne und bittet die Bassistin, für ihn zu posieren. Wenn irgendwer das entstandene Bild gefunden hat – her damit. Dennoch gaben sich die Berliner redlich Mühe, ihren Auftritt professionell zu absolvieren, was das Publikum auch zu Recht würdigte.

Abrogation
Abrogation

Warum es dann bei Abrogation im Festzelt so leer war, blieb nicht nur mir verborgen. Auch Frontmann „Schwarte“, der übrigens verblüffende Ähnlichkeiten zu Peter Lustig aufwies, schaffte seiner Verwunderung Ausdruck. Nur langsam füllte sich das Zelt wieder, durch den verkürzten Auftritt von Spawn hatten wohl viele mit einer längeren Pause gerechnet. Wirklich Schade, denn hier gab es exzellente Black/Death Songs zu vernehmen, die mit viel Rhythmus und deutschen Texten manchmal etwas an Deicide erinnerten, jedoch deutlich melodiöser strukturiert waren. Obwohl die Jungs ja auch schon seit Mitte der 90er unterwegs sind, waren sie für mich vielleicht die Überraschung des Wochenendes.

Disrepute
Disrepute

Bei Disrepute war wieder richtig Bewegung im Publikum. Es gab ja auch ein neues Album zu feiern, für das auf der Bühne und im Vorfeld ordentlich die Werbetrommel gerührt wurde. Ungünstig natürlich, wenn dann nach zwei Songs das Bassfell vom Drum reißt und erstmal zehn Minuten Ruhe herrschte. Mein Vorschlag, erstmal mit Snare und Ride-Becken ein wenig Grindcore zu spielen wurde leider abgelehnt. Dafür mimte Schreihals Jens den Alleinunterhalter und überbrückte die Zeit souverän, so dass die Zwangspause kaum auffiel. Der brutale Death Metal brauchte die Bassdrum definitiv für fiese Rhythmusattacken und der Spruch (frei nach Rolf Rüssmann) „Wenn wir schon nicht gut spielen, machen wir ihnen wenigstens das Equipment kaputt.“ traf hier eindeutig nicht zu. Schönes Death-Brett für alle die es extremer mögen.

Manos
Manos

Desaster überzeugten das Publikum mit Old School Black/Thrash, für mich hieß es jedoch erstmal die Kräfte wieder aufzutanken. Das war auch bitter nötig, denn bei Manos herrschten dichtes Gedränge und ein passabler Moshpit – ideale Vorraussetzungen für Fotografen. Die Fun-Grinder nutzten ihren Heimvorteil voll aus. Seit Mitte der 80er gibt es die Band, deren Stil sich wohl am Besten mit den Excrementory Grindfuckers vergleichen lässt. Aufgelockert mit Kinderliedern und anderen grenzdebilen Ideen war der Auftritt zwar durchaus kurzweilig, rein musikalisch aber wenig überraschend oder besonders clever. Der Spaß stand im Vordergrund und so gab es eine überdimensionale „Bockwurst“, eine kurzfristig installierte Rutsche, die jedem Sicherheitsbeauftragten den Schweiß auf die Stirn getrieben hätte und andere infantile Späße. Achja, beinah hätte ich die geniale Basskonstruktion vergessen, die auch knapp an der Grenze des statisch Machbaren vorbeischrammte.

Lay Down Rotten
Lay Down Rotten

Lay Down Rotten erwiesen sich als äußerst spielfreudig. Meine letzte Erfahrung mit den Jungs war im strömenden Regen auf dem Party.San – ein Auftritt bei dem nicht so wirklich Stimmung aufkommen wollte. Dafür entschädigte dieser Auftritt jetzt auf höchstem Niveau. Die Band war richtig gut gelaunt, lachte mit den Fans und verschenkte Bier. Als sie dann als Zugabe noch „Within The Veil - The Antidote“ spielten, war der beste Auftritt des Wochenendes gefunden.

Schnaps und Leichen
Schnaps und Leichen

Master mussten als Headliner den Sack jetzt nur noch zumachen. Das Festzelt war brechend voll und alle feierten ein perfektes Wochenende. Auch wenn ich die Attitüde von Bandleader Speckmann respektiere, ist mir der Old School Death Metal des ehemaligen Amerikaners zu simpel.
Abschließend bleibt mir nur noch, den Organisatoren für ein perfektes Wochenende zu danken. Schön, dass es vor allem im Untergrund noch soviele Enthusiasten gibt, die alles dafür geben, solch einen Event auf die Beine zu stellen und dabei die regionale Musikszene unterstützen. Wir kommen gerne wieder!