Wo ein Neugeborenes sein Geburtstrauma erlebt, hegen dessen Eltern den Traum eines gesunden und glücklichen Lebens – zwei Polaritäten die sich nicht nur durch die Biografie eines Menschen, sondern durch die Geschichte der gesamten Menschheit ziehen. „Traum und Trauma“, das zweite Full-Length aus der Feder der Chemnitzer Temple of Oblivion zeichnet die Reise eines Mannes durch die Wirren und Unruhen der Weltkriege nach, zeigt die Hoffnungen und das Leiden und stellt eindrucksvoll die Krankheit und den Wahnsinn des Krieges dar.

"Zisleithania" (1912), Ort der Lehrjahre, ist der Ausgangspunkt unserer Reise. Noch in voller Pracht erzählt es von seinem glorreichen Miteinander der Völker. Doch schon kurz darauf ("Mit vereinten Kräften") liegt die Thematik mitten im Spannungsfeld des Balkankonfliktes der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und markiert gleichsam den Beginn des 1. Weltkrieges im Jahre 1914. „Traum und Trauma“ zieht sich entlang der politischen Ereignisse beider Weltkriege, setzt seinen Fokus zwischen den Jahren 1897 und 1954 dabei jedoch vorrangig auf die Wechselwirkungen zwischen den deutschen und slawischen Kulturen und deren Auseinandersetzungen, Wirrungen und Träume im Konflikt mit Territorialkämpfen, Besetzungen und politischen Zerwürfnissen. Mit epischen Arrangements, treibenden Riffs und drückenden Drums vertonen Temple of Oblivion den Werdegang ihres Protagonisten und gehen unter anderem mit den Isonzoschlachten („Am Isonzo (1917)“), dem Ende Cisleithaniens („Durch Böhmens Wirrsal (1920)“), der Schlacht am Fluss Sutjeska („Von der Sutjeska“ (1943)) sowie dem Chaos des Kriegsendes („Pfad der Vergessenheit (1949)) die historischen Landmarken der Weltkriege authentisch und detailreich ab. Kurze Intermezzi mit O-Tönen situieren die musikalischen Geschehnisse im historischen Kontext und liefern ein komplexes Bild des entbehrungsreichen Wegs der slawischen Völker. Mit viel Aufwand und Kunstfertigkeit schaffen es Temple of Oblivion hier, ein musikalisch wie thematisch ausdrucksstarkes Konzeptalbum zu liefern, das aggressiv nach vorn geht, jedoch gleichsam das beklemmende und erdrückende Gefühl des Krieges auszudrücken vermag. Dabei ergänzen sich der zwischen Klargesang und Screams agierende Sänger und die melodisch-verspielten Gitarren perfekt mit den dezenten Keyboard-Passagen, welche eine symphonische Wand entstehen lassen, die durch ein stimmiges Schlagzeug untermauert wird, das oft schnell, aber stets angemessen zwischen Kraft und Groove changiert. Ein klanggewaltiges Epos!

„Traum und Trauma“ zeigt auf hohem Niveau, wie ein geschichtlich fundiertes Konzeptalbum klingen kann und schafft es trotz starker Emotionen, neutral und faktisch zu bleiben. Mit exzellentem Songwriting und einer hochwertigen Produktion spielt dieses Album eindeutig in der oberen Liga mit. Nicht nur für Historiker ein absolutes Muss.

Temple of Oblivion · Traum und Trauma · 2014

Redaktion

verfasst von Winterfreud666
vom 09.12.2014

9 / 10

Playlist

01 - Glück Auf! (1897)
02 - Zisleithania (1912)
03 - Mit vereinten Kräften (1914)
04 - Am Isonzo (1917)
05 - Durch Böhmens Wirrsal (1920)
06 - Blüte der Fügung (1926)
07 - Saat der Niedertracht (1938)
08 - Von der Sutjeska (1943)
09 - Auf Freund Hains Spuren (1945)
10 - Von Ort zu Ort (1947)
11 - Pfad der Vergessenheit (1949)
12 - Traum und Trauma (1953)
13 - Auf Bald! (1954)