Die Tatsache, dass Ex-Emperor Mastermind Ihsahn mit überdurchschnittlicher Kreativität gesegnet ist, kam ja schon zu seinen ehemaligen Zeiten ans Tageslicht, doch dass eine derart progressive Ader in Herrn Tveitan steckt, ist wohl erst seit der Geburt seines Solo-Projektes Ihsahn offenkundig. Mit „After“ folgte dieses Jahr der dritte Versuch, sich zwischen Progressivität, Depression, Harmonie und Kraft aufzulösen und einen neuen Hybriden zu schaffen, wie nur Ihsahn es vermag.
Auch dieses Mal hielt sich der Altmeister an seinen gewohnten Zweijahres-Rhythmus und ließ in dieser Zeit alle inspiratorischen Kräfte fließen. „After“ nimmt ab der ersten Sekunde gefangen und lässt einen so schnell nicht wieder los. Das unglaubliche Potential, welches in seinem Songwriting steckt wurde fast zur Gänze ausgeschöpft und die mitreißendsten, verstörendsten und wohl bewegendsten Gefühlsmomente geschaffen, die jemals auf einem Ihsahn Album vernommen wurden. Schon die intelligent eingesetzten Saxophon-Klänge lassen die Haut gefrieren und schließlich vor Spannung bersten, wenn zudem die unverkennbar, markanten Bass-Lines des Multi-Talentes erklingen.
Doch dabei ist „After“ alles andere als homogen. Hier wird quer durch die Musiktheorie gejagt und alles ausprobiert, um ausgefeilteren, progressiveren und ausschweifenderen Metal zu kreieren als je auf den Alben zuvor. So werden nicht nur klare Strukturen gesucht, sondern auch a-rhythmische Takte verwendet, um ein gewisses Chaos in das weite Emotionsspektrum dieser Platte zu bringen. Man kann diese Weitschweifigkeit nun als Nachteil sehen, als Hörbarriere, die ein genüssliches Konsumieren gänzlich unmöglich macht, sondern vielmehr die strikte Aufmerksamkeit des Hörers fordert, aber man kann es auch als Chance sehen. Eine Chance tiefer in die Seele dieser Musik einzutreten und den roten Faden selbst zu finden, der dieses Album so einzigartig macht.
Wahrlich reicht die musikalische Bandbreite hier von emotionalem Melodic Death Metal über symphonischen Black Metal bis hin zu ausdrucksstarken Geschwindigkeitsorgien mit hoch-verstörenden Saxophon-Parts, kombiniert mit Ihsahns kräftiger, charakteristischer Stimme, welche sich mit tiefen Klauen durch das Instrumentengefüge frisst. Doch ist genau dies der Reiz, den „After“ versprüht. Ist man anfangs in der Tat noch geschockt, ob der schieren Vielfalt, die sich einem bietet, steckt man spätestens nach dem dritten Durchgang mitten in seiner Welt, ist gefangen zwischen dem menschlichen Gefühlskarussell, welches sich schneller dreht als eine Zentrifuge und alle abwirft, die für einen derartigen Ritt nicht bereit sind.
Wie kann man Ihsahns „After“ zusammenfassen? Es liegt zwischen den derzeit bekannten Genres, es nutzt sie beinahe in ihre Ganzheit aus und kombiniert sie zu einem neuen Hörerlebnis, welches so packend ist, dass man, einmal infiziert, so schnell nicht wieder davon weg kommt. Zwischen Blind Guardianesken Gesängen übergehend in psychedelische Riff-Strukturen, welche sich in Marsch-artigen Schlagzeug-Rhythmen verlieren und letztlich durch atemberaubende Saxophon-Chöre eingefangen werden und majestätisch, Klang-gewaltig wieder zu einem Ganzen verschmelzen.
Ein psychedelischer Trip in die Unterwelt menschlicher Gefühle, ein kleiner Krieg gegen musikalische Normen. Der schmale Grad zwischen Progressivität und Geisteskrankheit. „After“ begeistert und spaltet die Meinungen. Meine Anspieltipps: „The Barren Lands“, „The Frozen Lakes Of Mars“ und „Heaven's Black Sea“, obgleich ein kompletter Hördurchgang von größter Empfehlung ist. In diesem Sinne,
Musikverwirrung.
Grenzen als Chance begreifen,
Emotionsgewalt.