„Ayait, la France fait enfin naitre un bon groupe“, triumphierte ein positiv überraschter Youtube-User kürzlich unter einem Video der Band Hypno5e. „Die französische Metal-Szene ist klein, aber fein“, liest man bei Amazon. Manchen scheinen die Franzosen wohl Metal-feindlich zu sein, oder Metal-uninteressiert? Ist es dafür vielleicht zu warm in Westeuropa? Ich glaube nicht. Einige Metalkünstler, wenn auch weniger bekannte, konnte Frankreich schon hervorbringen. Neben Gojira, Vertretern der südfranzösischen „West Coast“ (wenn man so will), tun sich Hypno5e aus Montpellier einmal mehr als feurige „East Coast“-Vertreter hervor.

Mit "Acid Mist Tomorrow" kommt nach fünf Jahren das zweite Album von Hypno5e auf den Markt. Getreu ihrem Genre des Experimental Metals, dessen Schubladenbewohner ironischerweise jede Schublade zu sprengen versuchen, bedienen sich die vier Französen wirklich aller Zutaten für ein im wahrsten Sinne merk-würdiges Album. Im Soundmixer landen hier nicht nur deftige Drums und Gitarren, irre Rhythmuswechsel, Screams und pastellfarbene Gesangsmalereien, sondern nun auch Texte in Französisch, Englisch und Spanisch. Nicht zuletzt wirft man vielerlei Kulturgut dazu, das in mehrsprachigen Samples portioniert und pointiert verteilt wird. Die frenetische Verwendung von Klangausschnitten mit gesprochenem Text, die auch das erste Album der Band prägten, scheinen sich die Jungs zum Markenzeichen gemacht zu haben.

Das Album ist in neun meist längere Tracks unterteilt, die aber eher fünf Werke sind, von denen manche aus zwei oder drei Themenvariationen bestehen. Der Hörer mag von Zeit zu Zeit in ausgeprägte Frustration verfallen, weil manchmal nicht ganz klar ist, was da jetzt in Französisch, Englisch und plötzlich noch Spanisch gesagt wird, wer da spricht oder aus welchem Trickfilm das herrliche Gekreische kommt usw. Ich selbst scheiterte sowohl an meinem Schulfranzösisch, an meinem Machete-Spanisch und an der Qualität der Samples. Nicht zuletzt überlegt man dann, was die Band daraus macht und was man den Rezipienten damit sagen will. Es ist ein aufregendes Rätselspiel, vielleicht auch nur L’art pour l’art …? Allein im zehn Minuten langen Titeltrack befinden sich mindestens fünf Samples, einige leider unverständlich, zwei sind vorgelesene und sehr düstere Auszüge aus Albert Camus‘ „L’étranger“ (Der Fremde, 1942). In anderen Stücken findet man ein ganzes Gedicht von Gérard de Nerval, gruftige französische Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. Soviel ist klar: Das moderne Konstrukt ist zunächst so aufschlussreich, wie die Lyrics zu Hotel California von den Eagles, woran mich einige Riffs übrigens erinnern.

Auch als Fan von Filmsamples und Literaturstücken in musikalischem Rahmen muss ich sagen, ein klein wenig Sparsamkeit hätte dem Album trotzdem gutgetan. Durch die Häufigkeit inflationiert dann teilweise doch der Überraschungs- und Stellenwert jedes einzelnen Samples, auch wenn die Maßlosigkeit hier wohl Absicht ist. Letzten Endes verweilt man in ehrfürchtiger Akzeptanz der eigenen Unwissenheit und gibt sich – auch ohne perfekte Kenntnisse etlicher Sprachen und ohne den nötigen Bachelor in französischer Literaturphilosophie – diesem mutigen Eklektizismus hin. Hypno5e sind vier Wahnsinns-Soundmaler und machen ihrem Namen mit dieser epischen Collage alle Ehre. Absolut berauschend.

Hypno5e · Acid Mist Tomorrow · 2012

Redaktion

verfasst von Madword
vom 06.06.2012

9 / 10

Playlist

01 - Acid Mist Tomorrow
02 - Six Fingers In One Hand She Holds the Dawn (Pt. 1)
03 - Six Fingers in One Hand She Holds the Dawn (Pt. 2)
04 - Story of the Eye
05 - Gehenne (Pt. 1)
06 - Gehenne (Pt. 2)
07 - Gehenne (Pt. 3)
08 - Brume Unique Obscurité (Pt. 1)
09 - Brume Unique Obscurité (Pt. 2)