Es gibt nur eine Band, die die Union aus amerikanischem und europäischem Death Metal perfekt beherrscht: The Black Dahlia Murder. Und genau das ist der Grund, warum es inzwischen so viele Nacheiferer gibt, angefangen bei Through The Eyes Of The Dead mit ihrer Langrille „Skepsis“ über Dargolf Metzgore mit „Blood Rush“ und nun auch noch eine Formation mit dem recht beliebig wirkenden Namen Wretched, deren „Beyond The Gate“ ebenfalls auf den metallischen Pfaden der Detroiter Jungs wandelt. Wer weiß, vielleicht ist der Begriff Dahlia Metal in zehn Jahren bereits prägend und oben genannte Kombos werden als Verfechter selbigen Genres bei Wikipedia und Co. angeführt?

Aber zurück auf den Boden der Tatsachen. Und der gestaltet sich solchermaßen, dass man Wretched, die mit „Beyond The Gate“ bereits ihre zweite Veröffentlichung am Start haben, mehr als Unrecht tun würde, bezeichnete man sie lediglich als Nacheiferer von The Black Dahlia Murder. Zwar drängt sich der Vergleich bereits mit dem überragenden Opener „Birthing Sloth“ regelrecht auf, aber das hauptsächlich, weil die aus Charlotte, North Carolina, stammenden Wretched mit der gleichen Leidenschaft zu Werke gehen. Wilde, technische Thrash-Passagen geben sich mit rasenden Blastbeats und groovendem Death Metal die Klinke in die Hand. Und in nahezu der gleichen Perfektion vermengen die Jungs das Ganze zu etwas Einzigartigem, das ohne Umschweife auf den Punkt kommt und sofort nach mehr schreien lässt.

Versucht man sich der emotionalen Wirkung des Materials für einen kurzen Moment zu entziehen, was bei solch einer auf den Hörer einströmenden Intensität echt schwer fällt, bemerkt man, wie fließend die Übergänge zwischen den einzelnen Songabschnitten sind. Jedes Riff sitzt genau dort, wo es hin muss, die absolut geilen Fills von Marshall Wieczorek passen wie die Faust auf’s Auge. Dazu noch der abwechslungsreiche Gesang von Billy Powers, der keift und growlt, was das Zeug hält, dabei aber nie überdreht wirkt. Alle Instrumente bilden eine Einheit und sind ideal auf einander abgestimmt. Das Sample von Buena Vista Social Clubs „Chan Chan“ am Ende von „Birthing Sloth“ sehe ich da mit einem Schmunzeln als i-Tüpfelchen. Diese Band beweist mehr als das stupide und artifizielle Können, das so viele andere Formationen ausschließlich an den Tag legen. Sie paaren technische Fertigkeiten mit Spielfreude und haben dabei jede Menge Humor am Start.

„The Deed Of Elturiel“ geht mit genauso viel Tempo und Spielwitz nach vorne wie „Birthing Sloth“, trifft dich im einen Moment wie ein Brett aus Steineiche frontal auf die Fontanelle, im nächsten gibt’s ein überirdisches Solo, dann wieder Blastbeat-Geballer mit Lichtgeschwindigkeit. Die Spieltechnik steht dabei erstaunlicherweise aber nie dem Songwriting im Weg, sondern setzt gezielt Akzente, damit auch ja keine Langeweile aufkommt.

Das Doppel „In The Marrow“ / „A Still Mantra“ klingt zu Zeiten nach den Schweden The Forsaken und bringt dabei auf genialste Art und Weise fiese Brachialität mit melodischem Riffing unter einen Hut. Ein wahres Brett vor dem Herrn! Der Höhepunkt von „Cimmerian Shamballa“ ist mit Sicherheit der bei Minute eins einsetztende Moshpart, über den synchron ein irre schnelles Melodietapping gespielt wird. Das erinnert stark an den Beginn von Between The Buried And Mes „Aesthetic” auf „The Cilent Circus“. Und da gibt es noch so einige andere Ideen, die ähnlich abgedreht sind wie bei den ebenfalls aus North Carolina (Raleigh liegt nur drei Stunden von Charlotte entfernt!) stammenden US-Amerikanern.

Mit „On The Horizon“ gibt es ein dramatisch angehauchtes, rein klassisch instrumentiertes Zwischenspiel. So recht einfügen mag es sich in das Gesamtbild der Platte nicht, aber gelungen ist es nichts desto trotz.

„Part I – Aberration“ trägt zu Beginn progressive Züge, die vom Gitarrenspiel her an Into Eternity erinnern, gleitet sogleich in schön inszenierte spanische Folklore ab, um dann mit einem tonnenschweren Midtempo-Riff das Instrumental richtig zu eröffnen. Die Spielart von „Part II – Beyond The Gate“ weist mit den akustischen Gitarrenteilen und von der Komposition her Ähnlichkeiten mit Becoming The Archetypes Erstling „Terminate Damnation“ auf. Dazu gibt es Rico Marzialis geniales Bassspiel zu bewundern, das durch die dynamische Produktion bestens herauszuhören ist. Insgesamt sind das über zehn Minuten hochwertige Instrumentalkost, die jedem Progressive Death Metal Fan das Herz höher schlagen lassen, da es zum Schluss sogar zum Einsatz von Streichern kommt.

„My Carrion“ reißt einen dann sofort aus der anbrechenden Melancholie heraus in den nächsten Nackenschmerz à la The Black Dahlia Murder. Wenn Wretched dieses Material live genau so spielen, wie es auf dem Studioalbum rüberkommt, dann können wir uns warm anziehen und am besten schon vorher eingipsen lassen.

Und natürlich weisen auch die letzten drei Songs absolut keine Schwachstellen auf. Beliebigkeit, Wiederholung von Altbekanntem oder gar Langeweile sucht man hier vergebens. Die Ausgereiftheit von „Beyond The Gate“ ist schon fast erschreckend. Hoffentlich schraubt das die Erwartungen für den nächsten Silberling nicht in schwindelerregende Höhen, aus denen man bekanntlich so tief fallen kann. Aber das ist Schnee von morgen.

Wo Wretched doch absolut nichts falsch und fast alles richtig gemacht haben, werde ich dem entsprechen und einen der metallischen Höhepunkte – und meine persönliche Neuentdeckung – des Jahres als Pflichtkauf abfeiern! Unbedingt zugreifen!!!

Wretched · Beyond The Gate · 2010

Redaktion

verfasst von ewonwrath
vom 19.08.2010

9 / 10

Playlist

01 - Birthing Sloth
02 - The Deed Of Elturiel
03 - In The Marrow
04 - A Still Mantra
05 - Cimmerian Shamballa
06 - On The Horizon
07 - Part I: Aberration
08 - Part II: Beyond The Gate
09 - My Carrion
10 - The Guardians Of Uraitahn
11 - The Talisman
12 - Eternal Translucence