Während ich diese Rezension schreibe, sind schon gute zweieinhalb Jahre seit der Veröffentlichung von „Gloria“ ins Land gegangen. Und genauso, wie ich mich heute auf den nächsten Output der Leipziger freue, ersehnte ich mir damals diese Platte herbei. Was durfte man erwarten, nachdem Disillusion mit „Back To Times Of Splendor“ eines der für mich großartigsten Alben des Progressive Death Metals eingespielt hatten – man denke nur einmal an den grandiosen epischen Titeltrack, der ein musikalisches Universum zwischen brachialem Gitarrengewitter und gefühlvollsten Akustikgitarrensolos vor dem Hörer ausbreitet, das Ganze garniert mit Streichern und Natursounds! Ja, quo vadis also, meine Herren?
Wenn ich mich recht entsinne, war der erste Höreindruck von „Gloria“ etwas verstörend, was vor allem an der oftmals durch einen Verzerrer verfremdeten Stimme von Andy Schmidt, dem Sänger und Gitarristen der Band, lag. Als Untermalung kannte ich so etwas bereits von anderen Gruppen, aber ganze Songs damit einzusingen, war mir neu und daher etwas fremd. Auf der anderen Seite waren sofort typische Trademarks von Disillusion auszumachen: Einsatz von Streichern, Elektroelemente und natürlich jede Menge genial groovende Riffs.
Nach mehrmaligem Hördurchgang kann man jedem der elf Songs seine Berechtigung auf dem Album zusprechen, kommt aber nicht umhin, das Material insgesamt als zwar komplex, aber eher inhomogen zu bezeichnen. „Gloria“, zugleich Titeltrack des Albums, besticht beispielsweise durch den kongenialen Einsatz eines orchestralen Chors im Refrain, nur um im Bruchteil einer Sekunde in einen Strophenteil mit rhythmisch gesprochenem Stimmpart und abgedreht experimentellen Gitarren hinüberzuschwenken. Genauso hin- und hergerissen fühlt man sich zwischen dem fast als Ambient zu bezeichnenden „Untiefen“ und dem mit harten Elektrobeats untermauerten Instrumentalstück „Aerophobic“. Die Laut-leise-Dynamik, die bisher eher innerhalb der Songs zu finden war, scheint nun in einen Kontrast zwischen den jeweiligen Einzeltracks verlagert. Epische Songs à la „The Sleep Of Restless Hours“ (17:02 Min.) oder „Back To Times Of Splendor“ (14:39 Min.) vom gleichnamigen Vorgängeralbum sucht man demzufolge vergeblich, leider – „Gloria“ ist mit knapp über sechs Minuten das längste Stück der Platte.
Was nach über zwei Jahren Höreindruck bleibt, ist das Wissen darum, dass Disillusion wohl noch einzigartiger – in einem positiven Sinne – geworden sind. Sie hatten den Mut, in Zeiten musikalischer Mainstream-Unterwürfigkeit viel Neues und Extremes auszuprobieren, und damit wahrscheinlich auch den ein oder anderen Anhänger ihrer treuen Fangemeinde ein wenig vor den Kopf zu stoßen. Im direkten Vergleich liegen „Back To Times Of Splendor“ und die Debut-EP „Three Neuron Kings“ bei mir immer noch um einiges vorn. Fazit: Was die Experimentierfreudigkeit anbelangt, sollte für die nächste Veröffentlichung doch lieber das Motto gelten: Don’t go any further, please!