Seit wenigen Tagen kann mit sich nun "Ótta", das fünfte Album der aufstrebenden Isländer Sólstafir via Spiegel-Online anhören. Natürlich haben wir das, nach Unkenrufen auf die Streaming-Plattform, prompt gemacht und ganz im Gegensatz zu "Svartir Sandar", zu welchem die Meinung in der Redaktion durchaus gespalten war, ist sich der harte Metal Impetus-Kern bei "Ótta" einig - es wird an allen Ecken und Enden Potential verschenkt. Sogar so sehr, dass "Svartir Sandar", welches seinerzeit gegen "Köld" ganz mächtig abgestunken hat, nun richtig kraftvoll, energetisch und eigenständig wirkt.*

Was ist passiert? Die konstitutiven Merkmale der Band wurden scheinbar zum Zwecke besserer Vermarktung, besseren Placements und der Erschließung einer neueren, dem Metal ferneren Hörerschaft ausgesondert und ein bekannter Mantel aus Klavier, Streichern und dynamisch recht belanglosem Song-Writing wurde übergezogen. Gitarren spielen nur noch im Hintergrund, der ehemalig harte Sound weicht vorhersehbaren Ambient-Elementen. Doch war genau dies der Reiz an Sólstafir, dass man es mit einem harten Metalsound schaffte, melancholische Songs zu schreiben, die mit Wut und Trauer jonglierten, wie der Chefclown des Circus Roncalli. Nun klingt man wie Sigur Rós, verkauft sich wie Björk und bietet so viel Abwechslung wie Alcest. Klingt gut? Dann seid ihr die richtige Zielgruppe. Mit einem beinahe weinenden Auge lege ich "Svartir Sandar" ein, nur um festzustellen, dass diese wirklich noch mehr Eier hatte und man es noch schaffte auf subtile Weise Melancholie zu erzeugen. Schade. Schade. Schade.

*Ein kleiner Exkurs:

Island. Die kleine Insel im Nordpolarmeer hat nur wenige Einwohner und noch weniger, die erfolgreich Musik machen. Wenngleich die isländische Musikszene in den letzten Jahren durchaus einen Aufschwung erlebt hat, sind es doch nur drei Größen, die man, trotz unzähliger kleiner Black- und Death Metal-Kapellen, in der umtriebigeren Metalszene gemeinhin kennt: Sigur Rós, Sólstafir und Björk. Sigur Rós spielen ihrerseits seit Anbeginn melancholischen Indie-Rock mit starken Ambient-Einflüssen, der nie bedeutend fröhlicher wird, als eine schwerwiegende Depression. Björk musiklaisch einzufangen ist schwierig, bewegt sie sich doch in ihrer ganz eigenen Welt aus schizophrenem Pop, der immer anders klingt, als man es erwarten würde. Sólstafir kommen eigentlich aus dieser kleinen, selbst in diesem bevölkerungsarmen Land mit unendlichen vielen Bands durchsetzten Black Metal-Szene, aus welcher sie sich anno 2002 mit "Í Blóði og Anda" erhoben und wie ein Ausrufezeichen auf der kleinen Insel wirkten. Diese Aufmerksamkeit untermauerten sie schließlich 2005 mit ihrem zweiten, zurecht "Masterpiece of Bitterness" betitelten, Album und setzten sich 2009 mit "Köld" endgültig von allen anderen Bands ab. Live-Konzerte wurden zu sentimentalen Messen, gestandene Black Metaller weinten im Fotograben und man war sich sicher, dass hier eine Band steht, die ihr ganz eigenes Ding machen, nie wie eine andere band klingen wird. 2011 erschien mit "Svartir Sandar" bereits das nächste, vierte Album, welches einige neue Wege ging, aber sich hauptsächlich auf die schwermütigen, getragenen Songs fokussierte. Erste Anzeichen machten sich bemerkbar, dass man ein Konzept gefunden zu haben schien, welches man ausreiten würde, bis der Gaul vor Erschöpfung verreckt. Doch immerhin gab es auch hier Highlight wie "Ljós Í Stormi", "Kukl" oder "Melrakkablús", die versöhnlich stimmen konnten. Die Angst, dass man sich, genau wie Alcest, immer weiter vom Metal entfernen würde stand jedoch wie ein Monilith im Raum. 2014 ist es leider soweit und diese Befürchtung ist wahr geworden. Was Björk und Sigur Rós geschafft haben, scheinen Sólstafir gerade zu verlieren - eine Eigenständigkeit zu bewahren, anders zu klingen und nicht zu gut verkäuflichem Pop zu werden.



Enjoy.