Donnerstag:

Nach einer scharfen, wirklich scharfen, Rechtskurve, so scharf, dass man fast geradewegs aufs Feld gefahren wäre, sind es nur noch wenige Meter, bis man den zauberhaften Hain sieht, unter welchem die Hauptbühne am Togauer Entenfang versteckt ist. Mannigfaltiges Gewusel deutet bereits darauf hin, dass das Festival in vollem Gange ist.
Es ist Donnerstag, der 10.07.2014 und auf der innerstädtischen Clubstage geht schon seit 19:20 Uhr einiges ab. Leider fahren zu unserer Ankunft keine Busse mehr dorthin, weswegen man sich mit Bier, Trockenfleisch und lustigen Franzosen begnügen muss, die ihr Zelt genau nebenan aufgeschlagen haben und mit frischem Brot, Wein und Camembert aufwarten. Wir wollen ja keine Klischees bedienen, aber… ach, lassen wir das. Der Käse war ein Traum und nach einigen Bier ist es auch gar nicht mehr so weit bis zur ersten Mainstage-Band. Lediglich noch einmal schlafen - beinahe wie an Weihnachten.



Freitag:

Evil Invaders
Evil Invaders

Als der Morgentau langsam an den Bierdosen der vergangen Stunden herunter rinnt, machen sich die belgischen Jungspunde Evil Invaders auf den Weg, um dem hochfrequenten Heavy Metal zu huldigen und ganz im Stile der guten alten Schnauzbart-Zeit ein YAHHHHHHHHH nach dem anderen abzufeuern. Anfangs noch etwas misstrauisch, gewann man schnell Sympathien für die Jungs, gingen die antiquierten Riffs doch stets gut nach vorn. Folgerichtig konnte man auch nicht davon ablassen, einen Eröffnungstanz anzuzetteln. Für mich sicherlich nichts für den heimischen Plattenteller, aber live eine ordentliche Sause.

Drill Star Autopsy
Drill Star Autopsy

Drill Star Autopsy schlugen ihrerseits zwar in eine ganz andere Kerbe, konnten die aufgebaute Stimmung aber gut mitnehmen. Mit groovigem Allerlei aus Death, Thrash und Hardcore wuchteten die Eislebener eine dicke Schwarte nach der anderen aufs Parkett und hatten augenscheinlich auch eine gute handvoll Freunde im Schlepptau. Vor der Bühne krachten so einige Nacken im schunkligen Takt des Hybrid-Metals. Gewohnt sympathisch und unverblühmt moderierte Sangesmann Sascha Schettler durch das Programm und machte schon mit seiner Klamotte deutlich, dass hier allerlei Einflüsse verwurstet werden. Gut, dass die Lutherstädter Metzger ihr Handwerk verstehen und stets ein gutes Brät auf dem Teller landet.



Gute Handwerker sind auch Revel In Flesh, was sie im vergangenen Jahr bereits auf dem Protzen Open Air klar gemacht haben. Diesmal sollte die gemütliche In Flammen-Bühne zerlegt werden und so karg und dürr Frontmann Ralf Hauber auch aussieht, sein Organ kann einiges bewegen. Entsprechend krachte das Quintett dicke Old-School-Salven raus und versprühte ein wohliges 90er Flair zwischen Entombed und frühen Grave. Doch Referenzen sind hier eigentlich fast schon fehl am Platz, denn die Baden-Würtemberger fahren schon seit Langem ihre ganz eigene Schiene.

Slaughter Messiah
Slaughter Messiah

Panne, Panne - eigentlich sollten jetzt Thyruz auf der Bühne stehen, doch die Jungs da oben sehen irgendwie ganz anders aus. Hatten die Norweger nicht sonst immer Masken und Corpse Paint und sowieso eine ganz fiese Bühnenshow? Ja, haben sie und die sollten sie später auch noch präsentieren. Jetzt stehen aber erstmal Slaughter Messiah aus Belgien unter den Bäumen und kredenzen der hungrigen Meute ihren angeschwärzten Death-Thrash. Mit erst zwei Demos und einer EP liegt zwar noch nicht so viel gemeinhin bekanntes Material vor, die Herren verstanden es jedoch, einen schnell auf ihre Seite zu ziehen. Das ist aber auch nicht schwer, wenn man wie wütende Nifelheim klingt und auch gerne mal in die Heavy Metal-Kiste greift. Zwischen fiesem Gekeife konnte man so auch den ein oder anderen Vocal-Pitch vernehmen und musste im Stillen doch darüber sinnieren, ob der Heavy Metal-Einschlag in Belgien derzeit konstitutiv ist.

Décembre Noir
Décembre Noir

Zeit, dieses auszudikutieren hatte man auch, denn mit dem Bus ging es auf zum Brückenkopf, wo Decembre Noir warteten. Mit “A Discouraged Believer” haben sich die Thüringer in die Herzen der Redaktion gespielt und so war es ein absolutes Muss, das Open Air Gelände für ihren winterlichen Doom-Death zu verlassen. Schade nur, dass nicht mehr Leute so dachten, denn vor der Bühne war es erschreckend leer. Decembre Noir ließen sich davon aber nicht beirren und schoben eine melancholisch-druckvolle Kugel nach der anderen in den Lauf. Äußerst mitreißend!

Alle Bands sehen und trotzdem Busfahren war kaum möglich, weshalb ich kurzerhand meinen krüppeligen Finger in die Luft streckte, um vielleicht per Anhalter noch vor Wiederankunft des Busses zum Entenfang zu gelangen. Siehe da, Erfolg! Ein überfreundlicher Mitarbeiter der AWO, der sich ebenfalls das Wochenende am Entenfang einquartiert hatte, nahm uns und zwei weitere gröhlende Affen wieder mit ins Paradies. Auf diesem Wege ein aufrichtiges Dankeschön!



Thyruz hätte man aufgrund der kleinen Verschiebung und dem Ausflug zum Brückenkopf fast verpasst. Dank der AWO konnte man aber beides miteinander vereinen und sich doch noch deftigen Black Metal geben. Die Jungs sind derzeit mit ihrer aktuellen Platte “Svik” unterwegs und schienen ordentlich motiviert, den frischen Rundling zu bewerben. Nach einem kurzen Intro mit obskuren Kreuzinstrumenten schoß das Quintett los und zwar nicht zu knapp. Haare flogen, Finger wurden in die Luft gestreckt und bösartige Mienen wurden zu guten Riffs gemacht - eine feine Senge, der man erstmal Paroli bieten muss.

Entrails
Entrails

Entrails nahmen ihrerseits die Herausforderung an und zeigten mit viel Enthusiasmus, einem äußerst apathischen Gitarristen und dem größten Bass der Welt, dass Death Metal kein Gepose braucht und trotzdem knallen kann. Hut ab!

Skanners
Skanners

Also in diesem Jahre hatte Thomas echt Bock auf Heavy Metal. Mit dem italienischen Dauerbrenner Skanners war gleich die nächste Truppe mit vielen hochgepeitschten Gesangseinlagen am Start. Kein Wunder, die Jungs sind sowieso immer da und zum Glück war die Meute auch noch nicht satt. Frontmann Claudio Pisoni konnte zudem mit seinem sympathischen Körpereinsatz ordentlich für Stimmung sorgen. Spätestens als das Iron Maiden-Cover “Run To The Hills” erklang, waren sowieso alle auf ihrer Seite. Ich war es jedenfalls.



Auf Koldbrann hatte man sich tüchtig gefreut und das zu Recht! Die Norweger bewegten sich in ihrem schönsten Mid-Tempo durch ein umfangreiches Set, das neben "Totalt Sjelelig Bankerott” auch “Drammen”, “Djevelens Treskeverk” und das allseits beliebte “Russian Vodka” enthielt, welches auch direkt aus der Feder von Fenriz stammen könnte. Alles in Allem viel Headbang-Potential und eine durchweg starke Show, die definitiv Bock auf mehr
macht und perfekt zum kalten Bier in der Hand passte.

Deströyer 666
Deströyer 666

Immer wieder liest man, dass Deströyer666 spielen und jedes Mal fragt man sich, wieso das sein muss und immer noch Leute vor der Bühne stehen, wenn die in den Niederlanden stationierten Australier auf ihren ausgetretenen Pfaden marschieren. Gut, alles Geschmackssache. Doch in diesem Jahr waren die Herren tatsächlich nicht ganz auf der Höhe und humpelten angeschlagen durch ihr Set. Was solls, trinkt man das Bier eben am Auto aus, da steht wenigstens ein Stuhl im Schatten.

Pentagram
Pentagram

Ihr Spinner, holt den alten Mann da runter. Oh, das sind ja schon Pentagram. Konnte ja keiner wissen. Obwohl, doch! Eigentlich weiß jeder spätestens seit der Doku “Last Days Here”, dass Bobby Liebling ziemlich verbraucht ist und man über jeden Gig, den er noch schafft, glücklich sein kann. Umso überraschender, dass er auf der Bühne vollends überzeugen konnte und nicht nur mit Pop-Klassikern wie “Don’t Let Me Be Misunderstood” (Nina Simone) für Überraschungen sorgte. Nein, vor allem seine Stimme war es, die ungeahnt kraftvoll aus seinem zerbrechlichen Körper röhrte und reihenübergreifend zum Headbangen animierte. Hier kann man froh sein, das noch miterlebt zu haben.



Was sind denn das für eigentümliche Vertretertypen? Die Lidl-Hausband? Da sieht aber keiner nach Blood Fire Death aus. Mussten sie auch nicht, denn Onkel Manfred und sein Bowling-Team zeigten nach zwei gemütlichen Einstimmungen, dass sie tatsächlich wissen, wie man Bathory covert. Wo die Bühnenpräsenz hier irgendwie vollends versagt, holen die Herren mit ihrem Sound alles wieder raus. Steckt da vielleicht Kalkül dahinter? Keine Ahnung, sicher ist nur, dass Blood Fire Death eine riesige Überraschung waren, mit der man so nicht rechnen konnte.

Mann, ging das schnell. Gerade erst aufgewacht und jetzt ist schon wieder die Bühne dunkel. Dabei hätten Blood Fire Death gern noch eine Stunde spielen können; Publikum hätten sie definitiv gehabt. Doch nein, die Enten brauchen auch ihre Ruhe. Zudem muss jeder Tag einmal zu ende gehen und mit Highlights wie Pentagram, Koldbrann und Decembre Noir wurde einem auch mehr als genug geboten. Zeit für obskure Fachgesprächen mit dem ein oder anderen Gerstensaft ist aber natürlich immer.



Samstag:

Was, schon fast 11:00 Uhr? Wie hat man das denn geschafft? Ging das Gespräch doch noch so lange? Nagut, so bleiben wenigstens nur noch 2 Stunden bis zu Disrepute und danach gibts auch endlich lecker Kuchen. Wird ja auch Zeit! Der Magen braucht sowieso Grundlage für den letzten Tag am Ententeich.

Disrepute
Disrepute

Disrepute hatten also die große Ehre, Vorband für Kaffe & Kuchen zu sein und meisterten dies auch erfolgreich. Eine gute Traube Menschen hatte sich im kleinen Bühnenwald versammelt, um dem Plauener Todeskommando zuzuhören, während im Hintergrund schon die Tafel errichtet und erste schmackhafte Ladungen angeschleppt wurden. Wir geben zu, die Kuchenlust lenkte etwas ab, aber dass es ordentlich gescheppert hat, wissen wir definitiv noch.



Wie das Programmheft schon verriet, Kaffee & Kuchen hat die Metalwelt 2014 zum zweiten Mal erlebt. Natürlich ist diese Angabe ohne Gewähr, denn ob Martin Van Drunen nicht häufiger ein bisschen Kekse nascht, wage ich nicht einzuschätzen. Klar ist aber, dass Streuselkuchen und Mohnschnecke mit mehreren Hundert Metallern mehr Spaß machen, als mit Omi in der stickigen Stube.

Gutalax
Gutalax

Kaum zu fassen, aber die neben uns zeltenden Franzosen sind den weiten Weg per Flugzeug angeblich wirklich gekommen, um Gutalax zu sehen. Ich habe absolut keine Idee, was an der Fäkal-Mucke der Tschechen so anziehend sein kann, aber kurz vor Beginn versammelten sich schon hunderte Leute mit Klobürste und Nutella bewaffnet vor der Bühne, um diesem Kacke-Erguss zu fröhnen. Unnachvollziehbar… wäre man doch lieber in die Innenstadt gefahren.



Die kenne ich! Cytotoxin aus Chemnitz haben sich in den letzten Jahren richtig gemausert und konnten eine ordentliche Schar Fans vor die Bühne zerren. Der brutale Death Metal des Vierers geht aber auch gut ins Ohr und beweist, dass man nicht nur über Kacke singen muss, wenn das Schlagzeug minimal Sechzehntel spielt. Die Dämme brachen aber erst so richtig, als Sänger Sebastian Grihm alle auf die Bühne bat und man kurz darauf nicht mehr sagen konnte, wo die Band anfängt und wo sie aufhört. Nur Gitarrist Fabrice Töpfer merkte das, als ihm das Kabel aus der Gitarre gerissen wurde. Tja, wer sich den Pöbel ins Haus holt…

Demonical
Demonical

Egal, wie oft man Demonical sieht, es ist immer wieder ein ganz dickes Brett. Mehr braucht man im Grunde nicht sagen, denn Widda und Co. haben bei mir dauerhaft einen Stein im Brett.

Nunslaughter
Nunslaughter

Nach Demonical schmerzte einem so dermaßen der Nacken, dass man sich für Nunslaughter lediglich fotografisch betätigte. Die eigene Meinung hatte man sowieso in der Bierdose verloren und erst später im Bus unter dem Sitz wiedergefunden. Gerade rechtzeitig, bevor Sado Sathanas den Brückenkopf enterten.

Sado Sathanas
Sado Sathanas

Sado Sathanas aus Dresden sind in der Szene keine Unbekannten und haben erst im vergangenen Jahr eine erfolgreiche Tour in Rumänien bestritten. Mit der neuen Platte “Nomos Hamartia” im Gepäck waren nun auch mal wieder die deutschen Gefilde an der Reihe. Ort des Geschehens war der Brückenkopf und nach anfänglichem Zweifel, ob es genug Publikum geben werde, war man überrascht, wie voll es dann doch war. Gut so, denn die neue Platte hat Gehör verdient und ging auch an diesem Abend gut ab. Wenngleich einige Pannen es notwendig machten, eine neue Snare zu organisieren, konnten die Black Metaller überzeugen. Sogar so sehr, dass Drummer Sebastian zur Paarung aufgefordert wurde. Wir halten euch auf dem Laufenden, wie es um das neue Metal-Traumpaar steht.



Es gab eine Zeit, da hatte ich Hail of Bullets so richtig über. Ich glaub das war in dem Jahr, als Professor Van Drunen gleich mit allen drölf Kombos gleichzeitig auf dem “Way Of Darkness” gespielt hatte, obwohl sowieso schon die Hälfte der ansässigen Bands nach Asphyx klangen. Jetzt war aber mal wieder Zeit für etwas niederländischen Historien-Death mit dem stilvollsten aller Moderatoren. Die etwas andere Geschichtsstunde handelte die markanten Ereignisse des zweiten Weltkrieges mit kurzen Kommentaren wie: “Da kommt der Panzer” - “Das ist ein fettes Ding” - “Achtung, die Bomber” ab und endlich kamen auch mal alle Schüler mit. Der Holland-Hüne hatte sichtlich Spaß an der Show und zu jedem Song einen flotten Spruch auf den Lippen. Die Meute dankte es ihm mit Beifall und frenetischem Kopfschütteln. Kein Wunder bei Klassikern wie “Operation Z”, “Red Wolves of Stalin” oder neueren Wuchtbrummen wie “DG-7” und “Swoop of the Falcon”. Um Martin selbst zu zitieren: “Was für ein Brett”!

Inquisition
Inquisition

Nachdem die holländischen Bulletten sich ausgehagelt hatten, durften auch in diesem Jahr Inquisition zeigen, wie man zu zweit Immortal covert und alle anderen Gitarristen dabei alt aussehen lässt. Dago und Incubus ballerten an diesem Abend aus allen Öffnungen und brachten mit ihrer aktuellen Platte “Obscure Verses For The Multiverse” düsterste Finsternis über die kleine Metalgemeinde. Mit einem hypnotischen Sound und grönländischen Kehlgesang feierte das Duo eine wahre Messe. Wozu haben andere Bands nochmal mehr als einen Gitarristen?

Benediction
Benediction

Benediction, Benediction, Benediction - die alten Briten sind natürlich eine dicke Hausnummer, wirklich fruchten wollte es an diesem Abend jedoch nicht. Wer seinerseits in der Stimmung war, konnte sich unter anderem über “Nightfear”, “Unfound Mortality” und “They Must Die Screaming” freuen. Ich warte lieber drauf, dass Dave Hunt wieder mal mit Anaal Nathrakh unterwegs ist.



Achja, Coverkill. Mit Blood Fire Death hatte man einen echten Glücksgriff gelandet. Mit Coverkill nicht so. Gut, die Jungs konnten covern und hielten auch noch ein paar Leute vor der Bühne, aber so richtig hat die 70s-Rockschiene dann irgendwie nicht mehr gepasst. Da halfen auch die improvisierten Hair Metal-Kostüme nicht viel. Immerhin ein ausreichender Grund auch wirklich zu gehen.

Fazit:

Mit einigen Highlights und dicken Überraschungen war das In Flammen auch in diesem Jahr eine feuchtfröhliche Verbeugung vor der unvoreingenommenen Diversität der Metal-Kultur. Heavy Metal tanzt neben Black Metal und die Death Metaller teilen sich Kaffe & Kuchen mit den Grind-Leuten. Es war gewohnt friedlich und durch die besonnene Kontrollpolitik der Organisatoren absolut unkompliziert. Keiner wird begrapscht und jeder holt sich sein Bier dort, wo er mag und wie es ihm am besten schmeckt. Es ist wie eine große Gartenparty auf der zufällig dicke Hochkaräter aus allen Richtungen der metallischen Kultur zugegen sind. Da auch das Wetter unerwartet gnädig gestimmt war, kam man sogar mit trockenen Schlüpfern nach Hause und musste den modischen Regenponcho gar nicht erst auspacken. Alles Bestens.
Auf der Rückfahrt ist man bereits leicht depressiv, weil man weiß, dass die nächsten Tage im Büro bei Weitem nicht so entspannt sind. Doch zum Glück weiß man, dass auch im kommenden Jahr wieder nach Torgau geladen wird, um Metal so zu zelebrieren, wie er es verdient hat. In diesem Sinne, besten Dank an Thomas und sein Team. Bis zum nächsten Jahr!