Die neue Spielzeit am Leipziger Schauspielhaus steht bevor und soll diesmal auch musikalische Überraschungen beinhalten. Für die Eröffnung konnten Bohren & der Club of Gore gewonnen werden, eine perfekte Wahl für einen herbstlichen Sonntag! In schickem Ambiente und dem Charme von Glanz und Gloria, traf sich zum Wochenendausklang die Oberschicht der Universitätsstadt, die intellektuelle Krone sozusagen, um in Frack, Nerz und Abendkleid den fröhlichen Tönen der Mülheimer Kapelle zu lauschen - welch ein Fest! Ein Ensemble aus Sekt und kleinen Häppchen erwartet uns im Foyer und aus dem Saal erklingen bereits die ersten Töne der sich einspielenden Musiker. Wir wollen nun berichten von dieser rauschenden Veranstaltung zwischen Pomp und Klasse:


Ruin


So, oder so ähnlich könnte dieser Bericht beginnen, würden wir das Magazin Klassik Impetus betreiben. Doch ist dies leider nicht der Fall. Auch war die Klientel, welche sich an diesem Abend in das Leipziger Schauspielhaus in der Bosestraße verirrt hat, weniger edel als hip. Und wie gut es da um die Intellektualität stand, möchte ich hier nicht beurteilen. Jeder war sich selbst der Klügste und worauf es wirklich ankam, war der Kampf der Accessoires. Kein Tuch war zu viel, keine Wollmütze zu schräg und keine Hose zu eng. Und war die Hose endlich eng genug, dann musste noch irgendwo ein viel zu großes Hemd her, denn Kontrast ist alles. Das Schauspielhaus hatte seine Pforte den Hipstern, Alternativen und Szene-Spinnern geöffnet und seinen Spielplan daran angepasst. Keine Brille war an diesem Abend zu wuchtig und gewonnen hatte schließlich der, der seine Pumphosen aus selbst gewobener Meerschweinchenwolle mitbrachte. Wir wieder einmal mittendrin in diesem Pfuhl aus Überheblichkeit, Arroganz und Bedeutungslosigkeit; eigentlich ohne Arbeitsauftrag und ohne jegliche fotografische Ausrüstung, doch ganz ohne Abrechnung soll dieser Abend nicht bleiben.

Als man das architektonisch reizvolle Gebäude betrat, las man unten ein Schild, welches daraufhinwies, dass heute ein Schalldruck von über 95 Db erreicht werden würde. Man riet an, deswegen einen Gehörschutz zu tragen; Oropax gab es sogar kostenlos. Doch der übliche Zynismus ließ einen dieses Angebot natürlich nicht wahrnehmen, man hatte genug Erfahrung mit Konzerten, da wird man sich wohl nicht von solch einem schnöseligen Schild anweisen lassen. “Spielen Bohren heute doch Death Metal, hahaha. - Nein, natürlich nicht, aber man hatte ja keine Ahnung.

Das Problem lag, wie man schnell erkannte, weniger an Bohren als an Ruin, welche als Vorband fungierten und eine obskure Mischung aus Drone, Space Ambient und Screams als musikalische Grundlage nahmen, um in Alien-Kostümen vor einer gigantischen Lasershow tierischen Krach zu machen und dem im Hintergrund rotierenden Mond zu huldigen. Genauer betrachtet, trugen nur zwei der drei Leute auf der Bühne ein Alien-Kostüm. Der rechte Mitstreiter begnügte sich mit einer Mütze und einer darüber getragenen Sonnenbrille; gehört wohl einer anderen Spezies an. Oder verkleidete sich der rechte Alien als Hipster? Versuchte diese Brut den Konzertsaal zu unterwandern, um widerliche Experimente an uns durchzuführen? Die Möglichkeit hätten sie jedenfalls gehabt, denn die hypnotischen Bassschübe, gepaart mit einer nahezu psychotischen Lasershow raubten einem jegliche Sinne. Nun rotierte der Saturn. Nicht nur einmal sah man seinen Sitznachbarn, wir befanden uns ja in einem Theater, wie von Sinnen zappeln, mit weißem Schaum vor dem Mund. Unglaublich, dass sich heutzutage keiner mehr zusammenreißen kann und seine Anfälle frank und frei in der Öffentlichkeit ausleben muss. Die drei Aliens auf der Bühne brummten indes gnadenlos weiter. Die ganze Szenerie wurde immer lauter und langsam wusste man, weshalb das Schild einen warnen wollte. Zum Glück hatte Kollege Fur Taschentücher am Start, damit man später für Bohren wenigstens noch einen Bruchteil von Restgehör haben würde. Der Mars ging auf. Auf Mars Red Sky hätte ich jetzt deutlich mehr Lust gehabt, oder auf Tom Waits - eigentlich auf alles, abgesehen von diesem unerträglichen Lärm. Selbst Sunn O))) haben mehr Rhythmus und Melodie als dieses Augsburger Puppengejammer.
Peu à peu leert sich der Saal, aber Ruin wollen mit ihrem Lärm nicht aufhören. Die Jungs scheinen tatsächlich eine ganze Stunde zu bekommen, um sich selbst zu feiern. Wir halten es nicht mehr aus und sind sogar schon so weich im Kopf geworden, dass wir uns lieber ein Bier für 3,50€ pro Becher holen, als weiterhin dieser Kacke zuzuhören. Ein Langhaariger kommt aus dem Saal gestapft: “Einfach nur gequirlte Scheiße ist das, mehr nicht!”, flucht er. Zu Recht.

Würde man unterdessen Bandchef Martin Eder fragen, wäre dieser sicher ganz begeistert von sich und seiner Show, denn die Verstörung des Publikums ist genau sein Ziel:

"Wenn man sich auf eine Bühne stellt, sollte man auch etwas zu sagen haben. Musik muss extrem und authentisch sein, dann ist mir das Genre egal"
(Eder - laut.de)

Martin Eder ist Künstler! Er malt nicht nur, er kann auch Krach machen. Was er einem damit aber sagen will, weiß ich nicht. Irgendwas mit Aliens sicher und irgendwas scheint bei denen nicht ganz richtig zu laufen. Glaubt man einem Bericht von laut.de, liegen die Grundrezepte dafür sogar im Black Metal:

”Vom Black Metal holt Eder dabei vornehmlich die Verzweiflung, Selbstaufgabe und den Sound ins Boot. Mit tumbem Rassismus, umgedrehten Kreuzen und Doofmann-Satanismus hat er nichts am Hut. Zur Umsetzung seiner abseitigen Klangphantasien sammelt er 2010 eine erlesene Mannschaft aus diversen Avantgarde-Künstlern um sich. Hierzu zählen so unterschiedliche Charaktere wie Attila Csihar von Mayhem, Sunn O))) oder auch [...] Jochen Arbeit (Anm. der. Red.: Einstürzende Neubauten).”

Das macht es nicht wirklich besser und eins steht damit fest: Martin Eder hat keinen Dunst von Black Metal und Ruin ist wirklich gequirlte Kunst-Kacke. Performanz-Müll, der mit möglichst viel Lärm, Licht und Nebel nur zu verstecken versucht, wo das eigentliche Problem dieser elenden Darbietung liegt: Bedeutungslosigkeit.

Endlich scheint der Spuk vorbei zu sein, denn das Gebäude vibriert nicht mehr und die Türen des Saals tun sich auf. Einige lachen, andere scheinen so zu tun, als hätten sie verstanden, worum es dort gerade ging; vornehmlich die bemützten Brillen-Hipster. Andere schauen erbost und fragen ängstlich, ob das denn schon Bohren & der Club of Gore waren. Zum Glück nicht, sonst wäre der Abend wirklich scheiße gewesen. Der Saal ist wieder still und dunkel.

Nachdem alle Instrumente ihren Platz gefunden hatten und die spärliche Beleuchtung mit Kleiderbügeln an diversen Mikrofonständern befestigt wurde, ging es mit der auf Ruin referierenden Ansage, “Wir sollen diesen Abend zu einem versöhnlichen Ende bringen”, endlich los. Bohren schienen von ihrer Wahl selbst nicht so angetan zu sein. Womöglich war es aber auch Kalkül, denn nach Ruin ist alles gut, was irgendwie nach Musik klingt. Dies Bohren zu unterstellen wäre jedoch beinahe schon ein Frevel.

Bohren & der Club of Gore selbst sind eine Band, die man nicht nur wegen ihrer Musik live hören muss, sondern auch wegen Frontmann Christoph Clöser, welcher quasi die ‘Stimmungskanone’ der Band ist. Es mag am Ursprungsort Mülheim liegen, aber eine gewisse, eher depressive, Note von Helge Schneider kann man dem Mann nicht absprechen. Es mag indes auch nur der Dialekt und die Intonation sein, die diesen Vergleich heraufbeschwört, doch Clöser überzeugt stets mit seinen spärlichen, aber überaus informativen Ansagen:

"Das nächste Stück geht um... eh... einen Wolf. Einen kleinen Wolf, einen jungen Wolf. Der junge Wolf... Den jungen Wolf hat es nach Südfrankreich verschlagen, wo er sich auf einem Campingplatz versteckt. Tagsüber liegt er unter dem Auto deutscher Touristen. Nachts geht er jagen. Als die Frau ausparken will, überfährt sie den Wolf. Das Stück handelt also nicht nur von dem Wolf, sondern richtet sich auch gegen Frauen am Steuer. Das Stück heißt… eh… Nightwolf"

Dass danach wieder die wundervoll jazzige Sentimentalität eintritt, für die man Bohren liebt, macht die Einleitung noch kunstvoller. Fröhlich wird es bei dem Quartett nicht, jedenfalls wenn es um die musikalische Seite geht. Clösers Saxophon-Partien beschwören sofort Gänsehaut hervor, denn sie gehen intensiv unter die Haut und fräsen sich knarzend durch die düstere Backline aus Bass, Schlagzeug und Klavier. Nach einiger Zeit entschließt sich Clöser wieder zu einer Ansage:

“Wer kennt das nicht - Man geht abends in die Bar, um… eh.. Frauen anzusprechen und das klappt aber nicht, wie immer. Besoffen zu offen, nüchtern zu schüchtern. Dann steht man da die ganze Nacht nur so still am Tresen. So heißt das Stück auch, ‘Still am Tresen’.”

In der vorderen Reihe sitzt einer, der sich die Musik absolut verinnerlicht hat und nickt, was das Zeug hält. Mehr Raum für körperliche Partizipation an der Musik bietet der Saal auch nicht, denn die Sitze sind zu eng und aufzustehen traut sich keiner. Ich bin irgendwie zwiegespalten, was den Auftrittsort angeht, denn eine kleine, rauchige Bar wäre vielleicht das bessere Ambiente gewesen. Hier ist jedoch der Sound phänomenal und man hört jede Kleinigkeit, jedes Detail der Musik. Kein Besenstrich von Thorsten Benning bleibt ungehört, was mir schon wieder gut gefällt. Außerdem ist es egal, wo Bohren spielen, denn wenn man die Augen schließt, versinkt man sowieso in eine ganz andere Welt.

"Wer uns schon einmal gehört hat, der weiß, wir spielen keine Zugaben. Denn wir sind coole Typen, die ihre Spielfreude im Griff haben. Heute machen wir aber eine Ausnahme. Weil wir es wollen. Deshalb gibt es jetzt das letzte Lied. Und dann noch zwei."

Clöser schafft es galant, die Zuhörer von den langsam aufkommenden Tränen immer wieder ins Amüsierte zu befördern. Nach dem 15-minütigen Stück “Beileid” spielen die Mülheimer noch “Midnight Black Earth” und “Destroying Angels”. Dann gehen die Lichter im Saal an, aber keiner will so richtig aufstehen. Die Mülheimer haben es tatsächlich geschafft, trotz Ruin für einen sehr versöhnlichen Abend zu sorgen. So entspannt und zufrieden ist man lange aus keinem Konzert mehr rausgegangen.
Die kühle Luft der Leipziger Innenstadt passt sich dem inneren Flair an und während man noch auf die Bahn wartet, versucht man, alles Revue passieren zu lassen. Endlich hat man Bohren einmal live gesehen. Allein im Auto geht es wieder in Richtung Chemnitz zurück. An der Tankstelle wartet man noch geschlagene 15 Minuten, bis ein Schausteller-Trupp den ganzen Laden leergekauft hat und man endlich die Zapfsäule freischalten darf. Kein Grund sich aufzuregen. Die seichten Klänge von sentimentalem Jazz schwirren noch immer in der Nachluft umher und ich muss irgendwie an Jim Jarmusch denken. Die Szene macht plötzlich absolut Sinn. [Win]