Wenn man es richtig alternativ will, dann muss man nach Leipzig fahren. Dort gehen immer die Konzerte, die woanders nicht gehen, weil vermutlich keiner kommen würde. Nicht, weil das, was man dort anbietet, an sich nicht vertretbar ist, sondern weil hier die ganz kleinen Sparten bedient werden. Solche, wie die der alternden Metaller, welche die ruhige Gitarrenmusik für sich entdeckt haben. Natürlich ging es wieder nach Connewitz. Das UT hatte erneut geladen, um den gierigen Individualisten der Stadt die Extravaganz eines Songwriter-Konzertes zu bieten, das sich abseits von Mainstream bewegt und doch fast schon zum guten Ton des gebildeten Subkulturisten gehört. Diesmal standen Scott Kelly und Oldseed auf dem Plan.



Scott Kelly


Ersterer ist seines Zeichens der grummlig dreinblickende Gitarrist und Sänger von Neurosis, der seine Songs auch gern mal unangestöpselt auf der Akustikgitarre spielt und Zweiterer ist ein kanadischer Kosmopolit, der seinen derzeitigen Sitz nach Deutschland verlegt hat, weil hier alles so unheimlich cool ist. Eine Mischung, die ihre Qualitäten hat, aber natürlich auch gewisse Schwierigkeiten mit sich bringt. Unsereins ließ sich natürlich absolut unvorbereitet auf dieses Experiment ein.
Wobei absolut hier auch nicht ganz zutrifft, denn im Voraus hatte man sich selbstverständlich mit den Musikern beschäftigt und amüsante Vorahnungen über das Publikum ausgetauscht, welche alle in ihren Auswüchsen um Welten getoppt wurden. Um dies zu studieren, blieb auch ausreichend Zeit, denn das Spektakel begann erst eine Stunde nach der angekündigten Zeit; damit ist auch zu rechnen, wenn man sich auf einen Abend voller Individualisten einlässt.



Oldseed


Kurz nach 22.00 Uhr war es dann soweit und ein irgendwie italienisch aussehender Kerl, vermutlich durch den ausgeprägten Mustache bedingt, mit kariertem Wollhemd betrat die Bühne. Zweifelsohne Oldseed, denn Kelly hat eine ausgewölbtere Körperform und würde zudem sicher nicht den Opener mimen. Nach kurzem Vorstellen ging es los und mit den ersten Tönen von Hand und Mund des Craig Bjerring verstummte der Saal.

Oldseed
Oldseed

Man hatte sich darauf eingestellt, dass ein Abend voller melancholischer Akustikgitarrenmusik vor einem lag und wirklich fröhlich sollte es auch nicht werden. Natürlich hinderte das gewisse Gäste nicht daran, nach jedem Song ein lautes "Wuuh" von sich zu geben. Die "Wuh"-Girls waren also auch Fans von sentimentaler Solomusik; das kam unerwartet. Oldseed ließ sich davon indes nicht abhalten auch weiterhin traurige Lieder zu spielen und so durfte man sich unter anderem "Push a Little", "Saving Throw vs. Poison" und "Stones" hingeben. Alles fein säuberlich dargeboten und definitiv nicht ohne emotionale Wirkung. Dennoch nicht die Art Emotionalität, die ein Patrick Walker einst heraufbeschwörte, was vielleicht sogar in der peniblen Sauberkeit des Künstlers selbst lag. Oder an den zeitweise sehr stereotypen Gesangpartien, die mit langen "ooohhhhhhhh"s und "hmmmmmmm"s doch etwas zu sehr nach konstruierter Gefühlsduseligkeit klangen. Das Gespräch darüber wurde sogleich mit strafenden Blicken des Vordermannes geahndet, der sich in seiner Beschäftigung, den Kopf im falschen Takt zu wanken, gestört fühlte. Ein erstaunlich konservativer Haufen diese alternativen Individualisten.
Das Highlight von Oldseed ist unzweifelhaft in der Cover-Version des Thin Lizzy-Klassikers "The Boys are Back In Town" zu sehen. Das seine Party-Hymne so interpretiert werden könnte, hätte ein Phil Lynott sicher ebenso wenig erwartet, wie das anwesende Publikum. Eine Überraschung!



Scott Kelly


Nach einer doch recht kurzen Zigaretten- und Bierpause, in der Merchandise beschaut und ausgeruht werden konnte von dem anstrengenden Sitzen in den altehrwürdigen Theaterstühlen, kam Scott Kelly von der Loge herab getrottet. Der Mann schnallte sich seine Gitarre um, koppelte sich an die Boxen an und begann ganz leise zu behaupten, dass er tatsächlich Scott Kelly sei. Die Anwesenden glaubten es ihm und nicht viel fröhlicher als zuvor nahm das Schwelgen in schwermütigen Melodien wieder Fahrt auf. Auch das "Wuhh"-Girl hatte wieder seinen Platz gefunden und ergänzte das an sich schon penetrante Gejubel um diverse Satzfragmente und provokative Zwischenrufe. Von dem Konservativismus meines Vordermannes angesteckt, schwirrten mir die Worte Kinskis über das Schweigen bei Aufführungen im Kopf umher und gern hätte ich sie geäußert, doch wie immer ist man in Gedanken wagemutiger, als in der Realität.

Scott Kelly
Scott Kelly

Letztendlich hatte man nur mit den Augen gerollt. Aber auch Scott, wie er jetzt ganz familiär von seiner "Wuhh"-Freundin genannt wurde, ließ sich vorerst nichts anmerken und spielte unberührt weiter. Natürlich gab es viele Titel der aktuellen Platte zu hören. So beispielsweise "The Forgiven Ghost In Me", "The Field That Surrounds Me", "We Let The Hell Come" und "The Sun Is Dreaming In The Soul".
Neben dem Singen war Scott Kelly jedoch überwiegend damit beschäftigt, obskure Aussagen zu treffen. Besonders solche mit stark plakativer Qualität. Man hörte ihn über Kinderschändung sprechen, die Wichtigkeit der Familie, das wenige Wissen, das er hat und die Tatsache, dass er nur über Leid singen kann. Im Grunde uninspirierte Gemeinposten mit dem Ziel, seine Titel nicht im leeren Raum stehen zu lassen, sondern ihnen einen Rahmen zu geben. Als dann allerdings seine Familien-Hommage, "We Burn Through The Night", auch noch uns, dem lahmen Publikum im UT gewidmet wurde, war jede Glaubwürdigkeit verloren. Da war Oldseed doch um einiges origineller, als dieser einen seiner Songs dem kaputten Effekt-Pedal widmete. Leider animierten Kellys Aussagen noch dazu, dass Kommentare aus dem Publikum kamen. Aber wer an einem Mittwochabend nach Connewitz ins UT fährt, der muss wohl auch damit rechnen, dass eine wollbemützte, hipster-bebrillte Feministen-Heike während der Show auf eine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus und Faschismus abzielt. Nur, um dann mit einem schmachtvollen: "Go on playing, Scott! Maybe we can talk afterwards" ihr ominöses Direktiva abzugeben, dessen sie sich selbst und ungefragt bemächtigt hatte. Irgendwie war hier alles vorbei und die Stimmung im Sack, denn die ganze Inszenierung brach in sich zusammen. Es war schlichtweg der Punkt gekommen, an dem zu viel prätentiöses Geseire bemüht wurde. Irgendwie korrelierten an diesem Abend Musik und Publikum nicht so miteinander, wie man sich das erhofft hatte. Vielleicht aber auch doch, denn das Publikum gab sich im Grunde so, wie man es erwartet hatte. Man weiß es einfach nicht. Einen schönen Abschluss bot zuletzt das Townes Van Zandt-Cover "Tecumseh Valley", welches jedoch den dezenten Unmut des Abends auch nicht zu beseitigen vermochte.



Scott Kelly

Was waren die Probleme? Ist es unter Umständen zu viel, hier von Problemen zu sprechen? Musikalisch war der Abend einwandfrei. Nur das Gesamtbild wollte sich nicht fügen, was nach meiner Meinung an der Örtlichkeit lag. Im Grunde ist das UT großartig, aber für diese Art Musik und dieses Publikum einfach zu offen und zu theatral. Die beiden Musiker hätte ich mir gut in einem kleinen Pub vorstellen können. In einer Bar, in der alle eng an eng auf einer Couch sitzen und das Schweigen einen emotionalen und keinen restriktiven Ursprung hat. Vielleicht ist man aber auch einfach zu negativ und bemüht hier einen falschen Referenzrahmen mit zu hohen Ansprüchen. Alles in allem bekam man für einen guten Preis gute Musik mit gutem Sound in einem ordentlichen Ambiente. Die Schuld daran, dass man nicht in Tränen ausgebrochen ist, muss man wohl eher bei sich selbst suchen, als bei dem abendlichen Umfeld.