Es muss einen zwingenden Zusammenhang zwischen besonderem Wetter und besonderen Konzerten geben. Anders ist es kaum vorstellbar, dass man sich freiwillig der Kombination aus zugefrorener Scheibenwischanlage und salzgelaugter Autobahn aussetzt. Bei Temperaturen jenseits von zehn Grad Minus und eisigem Wind standen die 110 Kilometer von Dresden nach Leipzig ganz im Zeichen des Tourmottos „New Moon over Europe“: Zu sehen gibt es nichts, zumindest in Sachsen auf der Autobahn.

Das traf auch auf das Bühnenbild im Conne Island, dem Veranstaltungsort, zu, das außer dem Equipment nichts zu bieten hatte. Angesichts des günstigen Preises von 13,50 Euro für die reservierten Karten an der Abendkasse soll dies jedoch nur am Rande bemerkt sein. Deutlich höheren Erwartungen musste die viel wichtigere musikalische Darbietung standhalten. Ob dies Swallow the Sun, Insomnium und Omnium Gatherum auf dem letzten Konzert ihrer gemeinsamen Tour gelingen würde?

Zumindest in Sachen guter Laune legte Jukka Pelkonen, Sänger von Omnium Gatherum, mit seinem seligen Dauergrinsen eine astreine Performance hin. Der Gesang stand seiner Mimik in nichts nach, und auch seine Kollegen schienen allesamt mit freudigem Herzen bei der Sache zu sein. Entsprechend munter wurden die melodischen Death-Metal-Hymnen unters Volk gemischt – leider mit teilweise schwammigem Gitarren- und Keyboardsound. Der andere Wermutstropfen war der berüchtigte Zwei-Meter-Graben zwischen Bühne und Publikum, der die Stimmung deutlich unter das Siedepunktniveau drückte. Zwar wurde artig applaudiert, aber gerade bei Krachern wie „Chameleon Skin“ vom aktuellen Album „The Redshift“ hätte sich der eingefleischte Fan mehr Begeisterung um sich herum gewünscht. Zum Glück ließ sich die Band von der Zurückhaltung nicht anstecken und gab im letzten Song noch einmal alles, als Niilo Sevänen von Insomnium sich den Gesang mit Jukka teilte. Dass dieser Abend vielleicht nicht ganz so ernst, aber definitiv spaßig genommen wurde, zeigte sich einige Minuten zuvor, als Mitglieder von Insomnium die Männer von Omnium Gatherum während des Spielens mit Bier abzufüllen versuchten.

Eine Umbaupause gab es praktisch nicht, und so blieb nur wenig Zeit, um einen Blick auf den Merchandise-Stand zu werfen. Wohl dem, der sein letztes Geld für das Ticket und ein Bier ausgegeben hatte, denn viel gab es nicht mehr zu holen von Insomnium: T-Shirts, Pullis, CDs, Poster – schlichtweg alles ausverkauft. Das aktuelle Album „New Moon“ von Swallow the Sun war auch nicht mehr zu haben, und so konnten einzig die wenigen Fans von Omnium Gatherum auf breiter, weil vollständiger, Palette zuschlagen.

Augenblicke später wurde klar, warum die Tische am Merchandise so leergefegt waren: Insomnium bliesen zum Sturm. Endlich schloss sich auch die klaffende Leere vor der Bühne, wo sich die Propeller fortan nur noch drehen sollten. Die Band erschuf vom Intro an, dank ihrem neuen Album „Across the Dark“ (2009) und dessen eingängigen Songs, deutlich mehr Atmosphäre als zuvor Omnium Gatherum, wozu vor allem die Fraktion aus Gitarre und Keyboard beitrug. Sänger und Bassist Niilo schien wie immer gutmütiger Laune zu sein und begrüßte die Anwesenden sogar auf Deutsch. Sobald seine sympathischen Ansagen verstummten, wurde ein melodischer Death-Metal-Kracher nach dem anderen abgezogen, von denen manch einer den Meisterwerken auf Omnium Gatherums „The Redshift“ definitiv das Wasser reichen kann. Kein Wunder also, dass die Männer der letztgenannten Kombo während des Gigs die Bühne enterten und den Herren von Insomnium huldigend die langen Loden zu Zöpfen banden. Frontmann Niilo ereilte das Schicksal zudem in Form eines Pappgeweihs auf seinem Kopf und eines Schildes an seiner Brust mit der Aufschrift „Korpiklaani“. Viel zu schnell, aber keine Minute zu früh für die Nackenmuskulatur verabschiedete sich die Band von der Bühne. Nach einer Zugabe wurde der Platz endgültig frei für den Headliner des Abends: Swallow the Sun.

Nach erneut kurzer Pause, in der einzig das Keyboard weiter vorn platziert wurde, versammelten sich nach und nach die Bandmitglieder auf der Bühne, während die Intromelodie erklang. Mit warmem Applaus wurde auch Sänger Mikko Kotamäki begrüßt, der als letzter und wie so oft in luftigem Unterhemd und mit Mütze erschien. Komme doch draußen der Winter, wie er wolle! Und als ob er dieser entspannten Haltung sofort weiteren Ausdruck verleihen wollte, verschenkte er an die Vordersten gleich mal ein paar Ottakringer Bier, wovon offen sichtbar noch weitere auf die Durstenden auf und jenseits der Bühne harren sollten. Danach wurde nicht mehr lange gefackelt, und der doomige Teil des Abends ging mit „These Woods Breathe Evil“, dem ersten Song vom neuen Album „New Moon“ (2009), gleich ordentlich los. In weiteren aktuellen Songs zeigte Mikko sein ganzes sängerisches Potential, das er spätestens seit der EP „Plague Of Butterflies“ (2008) enorm bereichern konnte: sowohl um Facetten des schwarzmetallischen Gekeifes als auch um ausdrucksstarken klaren Gesang. Leider wurden die cleanen Parts erst viel zu spät laut genug abgemischt, so dass der Hörspaß unnötig getrübt wurde. Der Ärger relativierte sich wieder, während die Band zwei Songs vom Debutalbum „The Morning Never Came“ spielte, das nach wie vor das brachialste Material der Band zu bieten hat. Im Gegensatz dazu erzeugen die aktuellen Songs eine tiefere Atmosphäre, die geprägt ist vom Wechselspiel zwischen den zierlichen Klängen des Keyboards und den schleppenden Rhythmen der Gitarren und des Basses. Stimmig wird das Ganze im wahrsten Wortsinn durch Sänger Mikko, der im rechten Moment das rechte Mittel wählt.

Nach einer kurzen angekündigten Pause kehrt die Band auf die Bühne zurück. Und natürlich ereilt auch sie ein Streich ihrer Begleiter aus dem Tourbus: Am Ständer des Keyboards wird mit Klebeband kurzerhand ein riesiger Dildo befestigt. Doch schnell ist ein besserer Ort für dieses ungewöhnliche Instrument gefunden: das Mikro von Mikko. Der lässt den Spaß mit einem Lächeln über sich ergehen und erklärt dem Publikum mit unschuldiger Miene, dass es sich um eine Abbildung des betroffenen Organs vom Merchandise-Menschen handeln müsse. Nach diesem Intermezzo bleibt es auf der Bühne unterhaltsam und turbulent. Der Schlagzeuger übergibt seine Instrumente für einen Song an einen der beiden mitgereisten Kollegen, während bei einem weiteren Song abermals Niilo Sevänen auf den Brettern erscheint, um sich im Wechselgesang mit Mikko zu messen. Wer von beiden nun die tieferen Growls abliefert, blieb offen. Aber dass es wohl weniger um einen Wettkampf denn um das freundschaftliche Miteinander ging, konnte der Zuschauer am Ende der einzigen Zugabe, „Hope“ vom gleichbetitelten Album (2007), deutlich sehen: Alle drei Bands standen nebeneinander auf der Bühne und bängten, die Arme auf die Schultern gelegt, gemeinsam zu den letzten Takten dieses wunderbaren Abends. Und da man bekanntlich auf dem Höhepunkt abtreten soll, tauchte die Crew vom Conne Island sofort danach alles in grelles Licht und vertrieb die Nimmersatten mit der Hintergrundmusik hinaus in die frostige Finsternis.