Eigentlich ist es die Art von Artikel, die man getrost in jeder Zeitung überblättern kann. Es ist die Art von Artikel, in denen Einzelschicksale breitgetreten werden und die Faktenlage im besten Fall auf Hören-Sagen beruht. Einer dieser Artikel sorgte in den letzten zwei Wochen jedoch für so heftige Diskussion, nicht nur in der Metalszene, dass er sich nur schwer ignorieren lässt: Thomas Gurrath, Frontmann der deutschen Death Metal Band Debauchery darf nach Berichten verschiedener Medien aufgrund seiner Bandaktivität seine Lehrerausbildung nicht beenden. Die Begründung der Schulleitung lautet in etwa so: Kunstblut, Pornografie und frauenverachtende Texte seien kein akzeptabler Hintergrund für einen Lehrer, der unter anderem Ethik unterrichtet. Die im Unterricht vertretenen Inhalte dürfen mit der privaten Lebensführung nicht zu sehr divergieren.

Der Metal Hammer war das erste Medium, welches die Geschichte aufnahm und ganz offen von „Mobbing in Stuttgart“ schrieb. Verständlich, dass ein Metal-Magazin sich auf die Seite des Kunstschaffenden schlägt, doch schon die Leserkommentare zeigen, dass das Thema deutlich vielschichtiger ist. Von der Vorbildfunktion eines Lehrers ist da die Rede, vom Verständnis für die Eltern, die eine Lehrkraft mit dieser Hintergrundgeschichte ablehnen. Was folgte, war ein Bericht der Stuttgarter Zeitung, in dem nicht nur Unwahrheiten über die Band („In einem Video gehe es um die Vergewaltigung einer Schülerin im Schulgelände.“) verbreitet wurden, sondern auch ein sehr einfacher Zusammenhang zwischen fiktiver und realer Gewalt hergestellt wird: „Sämtliche Amokläufe seien von jungen Männern begangen worden, die durch Killerspiele seelisch dafür geöffnet worden seien.“ Da hilft auch der abschwächend verwendete Konjunktiv kein Stück. Dieses schlecht recherchierte Machwerk zeigt, woran der deutsche Journalismus wirklich krankt und warum immer weniger Leute bereit sind, für ihre Zeitungsnachrichten Geld zu bezahlen. Den Artikel kommentiert Gurrath in einem aktuellen Interview mit metalnews.de ironisch: „Ich habe den Artikel mittlerweile gelesen. Cool, wir haben wohl ein Video, bei dem ein Mädchen auf dem Schulhof vergewaltigt wird. Das kenn' ich noch gar nicht. Abgefahren, alles erfunden. Reden wir überhaupt von derselben Band?“

Ein positives Beispiel für einen differenzierten Artikel liefert da ausgerechnet das Springer-Blatt Die Welt, das die wirklich wichtigen Fragen in den Vordergrund rückt: Wo verlaufen die Grenzen der Toleranz? Wie begründet ist die Angst, dass fiktive Gewalt auch zu realer Gewalt führt? Davon ausgehend lassen sich Anschlussfragen stellen: Wieviel Bedeutung darf das Privatleben für die berufliche Karriere haben? Ab wann ist Provokation nur noch Selbstzweck?

Nun kann man sagen, bei Gurrath kämen viele Dinge zusammen. Vor allem der Kontrast zwischen Ethik-Unterricht und Death Metal mit pornografischem Einschlag ist für viele Eltern und schulische Entscheidungsträger einfach zu krass. Es lassen sich deutschlandweit sicherlich Beispiele von Metallern finden, die einer Lehrertätigkeit nachgehen und nebenbei provokativen Metal spielen. Aber es gibt gute Gründe, warum viele Bands mit Pseudonymen arbeiten und am Ende doch bestimmte Grenzen nur von wenigen Bands überschritten werden. Auch Gurrath wusste, was ihn erwartet: „Mir war schon bewusst, dass es früher oder später zu Problemen führen würde. Aber ich kann mich ja nicht verbiegen. Ich mag Horrorfilme, ich mag Death Metal und ich mache auch Musik.“ Hier liegt der eigentliche Knackpunkt der Geschichte, der Moment, in dem sich die Faust in der Hosentasche ballt und der Kiefer knirscht: Gurrath wurde angeboten, sein Referendariat wieder aufzunehmen, wenn er glaubhaft machen könne, drei Jahre „abstinent“ von seiner Musik zu sein. Wie ein Drogenjunkie auf Entzug oder ein resozialisierter Gewaltverbrecher.

Kramt man in der eigenen Vergangenheit, zeigt sich, dass es sich dabei nicht um das verquere Verständnis einer einzelnen Person handelt. Mir wurde mal von einer ehemaligen Klassenkameradin die Frage gestellt, wie ich mein „schöngeistiges“ Studium in Einklang bringe mit der „brutalen, menschenverachtenden Musik“, die ich höre und mache. Bei einem Auswahlgespräch einer großen deutschen Studienstiftung war mir klar, dass es für mich kein Stipendium gibt, als die Interviewerin mich mit ernstem Gesicht ansah und fragte: „Sind Sie nicht zu alt für Heavy Metal?“

Es ließen sich noch weitere Beispiele finden. Heavy Metal ist ein Instrument der Abgrenzung von einer oberflächlichen Gesellschaft, die alles Negative ausblendet. Provokation gehört da ganz klar dazu. Dennoch lohnt es sich, bei verständniswilligen Personen für Aufklärung zu sorgen. Vielleicht dürfen dann auch irgendwann Leute wie Thomas Gurrath den Beruf ausüben, den sie wollen...