Fragt man Musik- und besonders Metal-Fachleute: „Kennst du Daylight Dies? Das is ne Band. Amerikaner, spielen Doom …“, da kommt nur Kopfschütteln! Ist ganz komisch, überrascht aber irgendwann nicht mehr. Die Band scheint seit Jahren an den Ohren vieler vorbeizurauschen, und das, obwohl das Quintett aus North Carolina (gugge an: U.S. of A.) schon seit Mitte der 90er unterwegs ist. Vermutlich landet jeder Googler gleich bei Killswitch Engage, die mit ähnlichem Namen eines ihrer Alben allen Fokus geizig auf sich ziehen. Ganz bescheiden versucht nun dieser Insider-Tipp erneut, sich ins Rampenlicht der Musikwelt zu schieben: Der neuen Scheibe namens A Frail Becoming haften schon lange vorm eigentlichen Release die Worte „Album des Jahres“ an. Wie kommt’s?

Ganze vier Jahre und ein paar Tage sehnsüchtigen Wartens sind für die eingefleischten Fans da draußen ins Land gegangen, nun muss dieses Album alle Wunden heilen. Es ist das vierte der Band, gemixt und gemastert von Jens Bogren in den Fascination Street Studios, der ebenso mit Katatonia, Opeth, Soilwork, Amon Amarth, Kreator u.v.a.m. arbeitete. Aber es sollte keine Abkehr vom altbewährten Stil der Band erfolgen, abgesehen von einem feineren Sound und noch mehr gesungenen Parts als zuvor. Egan O'Rourkes zerbrechlich klingende Clean Vocals fließen während ruhiger melodischer Episoden zwischen fetten Riffs, Gitarrensoli und Nathan Ellis’ Harsh Vocals ein (z.B.: „Sunset“, „A Final Vestige“).

Wo wir grad bei Soli sind, muss auch unbedingt darauf hingewiesen werden, dass hier eine exzellente Dekonstruktion von allem stattfindet, was Soli meist ausmacht. Das Gitarrensolo platzt nicht ständig im letzten Drittel eines jeden Songs rein, ist 8 oder 16 blöde Takte lang und variiert ein bisschen um die Akkorde drumrum. Nein, wenn’s nach dieser Definition geht (deren traurige Realität mich schon vor Jahren zum Solo-Hasser gemacht hat), enthält A Frail Becoming keine Soli, nur ausgedehnte Gitarrenparts, die den Song verdichten und weitertragen, und bei deren Fehlen der Song einfach in seine Einzelteile zerfallen müsste. „Ghosting“ ist da ein gutes Beispiel, „Hold On To Nothing“ ein anderes. Letzterer schiftet nach vier Minuten in eine endlos erzählende Gitarrenmelodie, die das Stück eloquent zu Ende führt und stilvoll in „Water’s Edge“ überleitet. Dieser Track ist wiederum ein kurzer Nachhall, ein Interludium oder ein Prolog zum darauffolgenden und letzten Titel. Für einen so geistreichen Umgang mit dem Potential der E-Saiten kann man nur dankbar sein. Hätte man Händel beim Basteln seiner Sarabande so ne Gitarre in die Hand gedrückt und ein Bier aufs Schreibpult gestellt, vielleicht hätte es ein bisschen so geklungen wie dieser Stoff. Den Coup hat die Band übrigens schon einmal beim Debütalbum (No Reply) gelandet, mit einfachen Klaviertönen.

Darüber hinaus ignorieren Daylight Dies gelegentlich den Quintenzirkel, Standard-Songlängen oder vorhersehbare Songstrukturen. Man weiß nie, worauf die Stücke hinauslaufen werden. Die Songs sind deswegen nicht sofort eingängig, aber das stört nicht, weil sie beim Hören selbst einfach mitreißen. Schade nur, dass der letzte Track („An Heir To Emptiness“) dann doch dahinblubbert, mit Sirenen-Einstieg und -Fadeout plus sinnlosem Bruch in der Mitte, und damit einfach hinter dem Rest des Albums zurückbleibt, erst recht nach der Fusion von „Hold on to Nothing“ und „Waters Edge“. Es ist ja nicht so, dass jeder schließende Titel nur so vor Genialität strotzen muss, aber dieser scheint keine Bedeutung zu haben und macht vorher Gehörtes auf eigenartige Weise vergessen. Möglicherweise sollte das zu den endzeitlichen Lyrics passen, die mit den Gegebenheiten und Farben der Natur und dem unvermeidlichen Jahreszeitenwechsel arbeiten … Wenn ja, dann funktioniert’s – man fühlt sich etwas leer und verloren.

Nun wird es Herbst, das Jahr neigt sich dem Ende zu. A Frail Becoming gibt rund 49 Minuten Doom mit Herz und Verstand zur Stimmung dazu und einfach keinen großen Anlass zum Mäkeln. Ein gediegenes Album, melodisch gut durchdacht, und nicht zu durchplant. Tipp: Nur nebenbei hören ist unzureichend, als Soundtrack für die nächste Abhängparty viel zu anspruchsvoll, lenkt ab, man verliert bloß den gedanklichen Faden. Hier muss man sich „reinlegen“, wenn man was davon haben will. Schön anzusehen ist auch das Video zu „Dreaming Of Breathing“, nämlich auf der Homepage der Band. Wo findet man denn nun die mysteriösen, schwer anzutreffenden Insider, die das Werk so sehnlichst erwartet haben? Die Chancen stehen gut, dass deren Zahl nach diesem Release endlich wächst. Diese Band hat es verdient.

Daylight Dies · A Frail Becoming · 2012

Redaktion

verfasst von Madword
vom 23.10.2012

9 / 10

Playlist

01 - Infidel
02 - The Pale Approach
03 - Sunset
04 - Dreaming of Breathing
05 - A Final Vestige
06 - Ghosting
07 - Hold on to Nothing
08 - Water's Edge
09 - An Heir to Emptiness