Ja also, Retaliation ist jetzt mal kein sehr innovativer Name für eine Death Metal-Kapelle. Und „Seven“ ein ebenso kurzer wie alles-oder-nichts-sagender Albumtitel. Habe ich vergessen zu erwähnen, dass der Sechser aus Deutschland kommt? Noch Fragen? Kann also gar nicht gut sein, oder? Sicher auch schon Tausendmal gehört, das alles...
Ich wette, dass die Franken mit diesen Klischees rechnen und sich ins Fäustchen lachen, wenn eben diese Vorurteile des nächstbesten Metalheads bereits mit der ersten Sekunde der Platte geradezu atomzertrümmert werden. Denn: Ich habe schon seit langer, langer Zeit keinen so mitreißenden Opener wie „Hope Of Zion“ mehr zu Gehör bekommen. Wie kann man so wuchtigen Death Metal zelebrieren, in dem sowohl Geschwindigkeit, Härte, Gefühl und Ideenreichtum miteinander verbunden sind? Andere brauchen Jahre oder Dekaden, um solch ein Opus maximus zu schaffen – oder scheitern gar komplett daran.
Richtig, dann kommt ja stets der zweite klischeebehaftete Gedanke: Sie haben das Beste an den Anfang gestellt. Danach kann es nur noch bergab gehen. Denkste!
Je öfter ich „Seven“ gehört habe, desto mehr drängte sich bei mir der Vergleich der Scheibe mit dem liebsten Volkssport der Deutschen auf (nicht Biertrinken, die andere Sache). Aus einer zugegebenermaßen etwas maskulinen Sichtweise vielleicht, ja. Denn Retaliation beginnen ihr einzigartiges Werk ohne Vorspiel und kommen gleich zur Sache. Doch wie bereits erwähnt, wird hier nicht stumpfes Geprügel dargeboten, sondern Vielfalt groß geschrieben: häufige Stellungs-, äh, Rhythmuswechsel, Tempovariationen und unter allem ein groovender Teppich aus feinstem Technical Death Metal-Drumming. Man freut sich auf jede „Nummer“ und möchte sofort nochmal... und nochmal... hoffentlich hört das niemals auf!
Was macht Retaliation abgesehen davon zu einer absoluten Ausnahmeband? Ihre enorme Spielfreude, die Leichtigkeit, mit der die Songs präsentiert werden, und die extreme Synergie aller Bandmitglieder. Gerade im Technical Death Metal sind die Probanden ja immer enorm versucht, ihr eigenes Können in jeder Note in den Vordergrund zu stellen. Aber die Franken machen das eben wesentlich besser – und sind dabei zu sechst! Das beginnt schon bei der Aufteilung der Vocalparts zwischen Johannes Schwarzkopf und Christian Schlosser: das geht einfach nicht besser! Groove und Rhythmus in jeder Sekunde! Marc Schuhmann an den Drums ist ein Ausnahmeathlet und weiß immer, wann er sich im Sinne der zelebrierten Musik hervortun und wann er besser einen Gang zurückschalten sollte. Das Können von Julian Welsch und Dennis Schneider (Gitarren) steht eh über jedem Zweifel erhaben. Ein wahrer Hörgenuss!
Klar haben Retaliation Anleihen an anderen Kombos: The Black Dahlia Murder beispielsweise, wenn es schnelles, Black Metal-angehauchtes Riffing hagelt, Cryptopsy, wenn es vertrackt wird und die ein oder andere Akustikpassage eingeschoben wird, All Shall Perish, wenn melodisches Riffing mit genialen Soli darüber dargeboten wird. Doch man muss wirklich den Vergleich mit anderen Gruppen im Detail suchen, so erstaunlich selbständig ist der erste(!) Longplayer der 2006 gegründeten Franken, die sich hinter ihren Landsleuten Obscura keinen Zoll breit zu verstecken brauchen.
Jeder Song hat seine Höhepunkte, wirkt dabei nie überfrachtet, sondern immer gut durchdacht und aus dem Bauch heraus gespielt. Daher fällt es unheimlich schwer, einen oder mehrere hervorzuheben. Auf dem ohnehin schon mehr als hohen Niveau gibt es mit „Hope Of Zion“, „The Transience Of Existence“ und „Omnious Greed“ aber immer noch Peaks zu verzeichnen. Und was ist „Textures Of Sin“ bitte für ein geniales Instrumental?! Wie habe ich mal wieder nach einem Silberling gegiert, der auf einer Länge von dreiundvierzig Minuten die ganze Zeit die Spannung hält und nicht mal für ein paar Takte an Intensität verliert. Geradezu unglaublich und damit auf jeden Fall eine Ausnahmeerscheinung auf dem überfluteten Markt der Möchtegern-Death Metaller.
Seit Niles „Those Whom The Gods Detest“ rotierte keine Scheibe mehr so häufig in meinem Player. So Jesus seine verdammt langen Haare nicht nur spazieren trug, müssen Retaliation demnächst mindestens genauso viele Jünger haben wie der berühmte Langlodige, auf jedem großen Festival gespielt und das noch ungläubige Volk im Handumdrehen bekehrt haben. Und „Seven“ ist ihre heilige Schrift, in die sie berechtigterweise all ihre Hoffnungen legen dürfen.
Einen verpflichtenderen Pflichtkauf als diesen gibt es für Technical Death Metal-Fans nicht. Wer das auditive Gegenteil von Langeweile gesucht hat, ist fündig geworden. Wer glaubte, die drückende Brutalität des Genres sei nicht ohne Qualitätsverlust mit progressiven Elementen zu vereinen, wird ohne Umschweife eines besseren belehrt. Wer dachte, er müsse über den großen Teich pilgern, um die Heimat der Besten des Genres zu beehren, kommt nun in Franken an. Holy shit!