Als ich an diesem Donnerstag meine Fotoausrüstung zusammenpackte und das 70-200-Teleobjektiv in der Hand hielt, dachte ich noch, dass es übertrieben und sinnlos sei, in diesem kleinen Schuppen damit aufzutauchen. Konnte ja keiner wissen, dass man spätestens bei Sólstafir eigentlich nicht mehr in die erste Reihe kam und bei Long Distance Calling jeder froh war, der überhaupt irgendwo einen Platz fand. Was aber für Fotografen ein trauriges Elend ist, ist der Stimmung meist unheimlich zuträglich. Und so war es letzten Endes auch, denn das Conne Island versprühte ordentlich Stimmung. Hinzu kam ein nahezu pünktlicher Einlass, ein kühles Bier und vor allem ein vorzeitiger Beginn. Wer kennt das heutzutage noch, wo die meisten Partys erst anfangen, wenn die Nacht eigentlich schon wieder passé ist.



Punkt halb Neun betraten Audrey Horne schon die Bühne und ich hatte eigentlich so gar keine Lust, die hippen Rock-Röhren zu sehen. Die Meute im Saal sah das jedoch anders. Eine Menge Fans der Norweger hatten sich an diesem Tag eingefunden und begrüßten die Bergener mit jeder Menge Jubel. Als sie letztendlich mit ihrem "Redemption Blues" begannen, musste ich indes eingestehen, dass sie doch mehr Stimmung machten, als ich ihnen zugetraut hätte.

Audrey Horne
Audrey Horne

Irgendwo zwischen Classic und Hard Rock mit einem Spritzer Heavy Metal à la
Iron Maiden sowie einer guten Portion Groove, konnte man die Halle sehr schnell für sich gewinnen. Auch der an diesem Abend recht hohe Teil älteren Publikums fühlte sich angesprochen und nicht nur einer nahm das Wort "geil" an diesem Abend in seiner juvenilen Neuausrichtung in den Mund. Unterdessen sah man Sólstafir ab und an mal aus der Tür zum Backstage-Raum schielen, wo sich Sänger Addi zu "Blaze of Ashes" schon mit der Whikey-Pulle tanzend im Kreis bewegte. Drummer Gummi war da konsequenter und latschte irgendwann im Auftritt einmal quer durchs Publikum und wieder zurück in den sicheren Schutzraum hinter der Bühne. Audrey Horne wurden derweil keineswegs müde und sogar immer kontaktfreudiger. Mit einem beherzten Sprung bugsierte sich Fronter Torkjell "Toschie" Rød ins Publikum und sang dort ein bisschen weiter. Bei dem Versuch, wieder zu seinen Bandkollegen zu gelangen, gab sich der Sänger dann nicht die Blöße, die Bühne kletternd vielleicht nicht erklimmen zu können, und nahm schlussendlich vorsichtshalber den Weg durch die Hintertür. Den Fans war es gleich und nach dem obligatorischen Foto mit Basser Espen Lien vor dem freudigen Publikum, ging es mit voller Fahrt und "This Ends Here" weiter. Auch den Damen wurde mit "There Goes A Lady" natürlich noch gehuldigt, was bei einem derart hohen Frauenanteil an diesem Abend sicher nicht die dümmste Idee war. Alles in allem ein sehr guter Auftritt, den ich so nicht erwartet hatte. Audrey Horne werden sicher nie meine Lieblingsband werden und die Shirts mit dem Herzen finde ich immer noch absolut ekelhaft, aber wenn sie mal wieder irgendwo live zu sehen sind, muss man sich definitiv nicht beschämt abwenden.


Sólstafir
Sólstafir

Süßlich roch die Luft und filzige Köpfe fanden sich vor und auf der Bühne ein. Die Isländer Sólstafir hatten es wieder einmal nach Leipzig geschafft und durften heute als Mittelteil der "Flood Inside"-Tour agieren. Ob aufgrund des vorzeitigen Beginns oder aus anderweitigen Gründen, bei den trendigen Nordmännern war der Saal gleich noch ein Stück voller als zuvor. Erfreulicherweise ging auch der Umbau heute schnell vonstatten und nach kurzem Intro vom Band, welche Schande, setzen die Post-Wikinger mit "Ljós í Stormi" ein.

Sólstafir
Sólstafir

Sympathisch war dabei, dass die Jungs auf den westlichen Körperkult zu pfeifen scheinen und gar nicht erst versuchten, ihr neuerlich erwirtschaftetes Bäuchlein irgendwo zu verbergen. Zerlumpt und angetrunken wie sie waren, begannen sie, recht unbekümmert, ihr Set runter zu spielen. Dabei liefen die älteren Songs noch gut von der Hand, auch wenn der Sound nicht optimal war, doch der Mittelteil mit "Svartir Sandar" und "Fjara" hatte seine Macken. Darunter das Problem, dass Addi mit "Fjara" gesanglich irgendwo nicht ganz warm zu werden scheint und es dadurch zu melodisch fragwürdigen Momenten kommt.

Sólstafir
Sólstafir

Auch sein kleines, elektrisches Stimmgerät, das er während des Songs in der Hand hielt, schien da nicht viel zu helfen. Schade, doch Stimmung kam dennoch auf. Auch wenn man die Herren nun schon mehrfach gesehen hat und nicht mehr überrascht ist, wenn die 40 Minuten mit vier Songs gefüllt werden, macht es doch immer wieder Spaß, die umgänglichen Isländer zu sehen. Zwar scheint man nicht mehr mit dem selben Elan an die Sache zu gehen, wie vor fünf Jahren, aber noch ist man ambitioniert genug, um die meisten anderen Post-Rocker an die Wand zu spielen. Mit "Goddess of the Ages" haute man zum Schluss noch einen wohlklingenden Klassiker raus, der ein gutes Gefühl hinterließ und einen voller Hoffnung in den letzten Akt des Abends gehen ließ.



Die Spannung war groß, denn ich hatte absolut keine Idee, was ich von den Münsteranern erwarten sollte. Der Saal sprach dabei eine deutliche Sprache, denn das Conne Island war bis auf den letzten Platz voll. Hatte man bei Sólstafir noch Soundprobleme, waren diese bei Long Distance Calling ausgemerzt und jeder Ton, jeder Schlag, jedes Solo kam knackig, sauber und in Perfektion aus den Boxen und in die Hörgänge des Publikums geschossen. Zur Eröffnung setzte man auf "Nucleus", der auch "The Flood Inside" eröffnet, die an diesem Abend noch mehrfach bedient werden sollte.

Long Distance Calling
Long Distance Calling

Gespannt war man natürlich auch, wie nun Sänger Martin Fischer eingebaut werden würde, der sich vorerst in der hinteren rechten Ecke der Bühne auf einem Podest versteckte und irgendwelche Knöpfe zu bedienen schien. Bis man den Mann mal richtig zu Gesicht bekam, sollte noch einige Zeit vergehen. Auf "Nucleus" folgte erst noch "The Figrin D'an Boogie", "The Inside Flood" und "Black Paper Planes", bis mit "Tell The End" das erste Gesangsstück erklingen sollte. Augenscheinlich dezent aufgeregt, aber schon gut ins Bühnenleben integriert, steuerte nun besagter Martin seinen Gesang zu den verträumt-energischen Melodien der Gitarren bei und nahm die ganze Halle mit. Das passt ohne Zweifel, auch wenn man mit Fischer nicht den vereinnahmenden Fronter vor sich hat, der die Bühnendynamik bestimmt. Vielmehr sieht man einen erfrischend zufriedenen Sänger, der auch wieder aus dem Fokus verschwinden kann, wenn er fertig ist und dann im Hintergrund selbst die Musik genießt, die da fast magisch aus den paar Gitarren gezaubert wird. Und es war auch einfach nur bewundernswert, denn "Arecibo" und "Aurora" klingen live ungleich beeindruckender als die schon selten guten Studio-Versionen. Bei "The Man Within" war Fischer dann wieder vorn zu sehen und machte erneut eine gute Figur.

Long Distance Calling
Long Distance Calling

Irgendwie auch ein nettes Konzept mit dem partiellen Sänger, das die ganze Geschichte etwas auflockert. Wie in einem guten Orchester, das verstanden hat, Instrumente nicht nur als klangvolle Masse einzusetzen, sondern auch mal Soli zulässt; ohne dies jedoch zu überreizen. Generell schaffen es Long Distance Calling hervorragend, sich persönlich zurückzunehmen und allein die Musik wirken zu lassen. Keiner spielt sich in den Vordergrund oder macht übermäßig Anstalten, sich darstellen zu wollen. Was hier zählt ist das Gesamtergebnis und mehr braucht es auch einfach nicht. Kein einziger Besucher wird wohl an diesem Abend enttäuscht worden sein, denn nach dem schon enorm langen Set folgte noch eine Zugabe, die sich gewaschen hatte. Nach kurzem Bitten ließen sich die Gewinner des Abends noch auf "Apparations" ein; ein 12-minütiges Monster, das endgültig überzeugte: Long Distance Calling haben den Erfolg verdient. Ob alt oder jung, eingefleischter Fan oder geneigter Neuhörer, hier bekam man den letzten Stoß. "Das ist eine Messe!" hörte ich es neben mir rufen.

Long Distance Calling
Long Distance Calling

Ein älterer Mann mit Kutte und grau meliertem Zopf, der gerade Luftgitarre spielte. "Wahnsinn. Die Jungs sind irre. Ich kann nicht mehr" - wahre letzte Worte für dieses Spektakel. Ich konnte auch nicht mehr, das war gigantisch.

Man sollte wohl häufiger ohne jegliche Erwartung auf Konzerte gehen und hoffen, dass man dafür reich entlohnt wird. Diesmal hat es geklappt und der Kurztrip nach Leipzig war ein voller Erfolg. Audrey Horne waren besser als gedacht. Sólstafir nicht so schlecht wie befürchtet und Long Distance Calling unerwartet spektakulär. Wie immer gab das Conne Island auch wieder eine gute Location ab. Die Leute waren nett, die Bar gut gefüllt und der Preis für dieses Gespann mehr als nachvollziehbar. Wir kommen gerne wieder und danken herzlichst!