Welch milde Herbstnacht, um frohen Mutes aus der marx'schen Industrieenklave in das feierliche Elbflorenz aufzubrechen. Erst Bus, dann Bahn, dann Tram, dann zu Fuß ging das große Suchen los. Denn wer in den Sektor will, muss dort schon einmal gewesen sein. Zum Glück gab es auch noch Andere, die dieses Ziel im Sinn hatten und man konnte sich unauffällig an deren Fersen heften. Doch war der Unterschied zum Startpunkt letztlich gar nicht so groß, liegt der Sektor Evolution doch auch mitten in einem Industriegebiet, zwischen steinernen Werkhallen und metallenen Schienennetzen – ein wahres Arbeiterparadies und Zuflucht für Musiker, die ihr Treiben nur an der Stadtperipherie auszuüben vermögen. Wo die einen indes noch übten, sollten heute die aufspielen, die schon lange im Geschäft sind. Mit Nervecell, The Man-Eating Tree, Japanische Kampfhörspiele, The Very End sowie den Lokal-Thrashern Rile hatte man ein interessantes und durchaus internationales Line-Up am Start, das eine ebenso heterogene Meute anzog. Mit minimaler Verspätung startete der Reigen und Rile hatten ihre 30 Minuten.
“Das sind doch Metallica, oder?“, feixt es aus Richtung Merchstand und so ganz Unrecht hatte der Mann damit auch nicht. Die Dresdner Rile toben sich in frühen Thrash-Gefilden aus, garnieren alles mit dezenten Solo-Passagen sowie eingängigen und groovigen Riffs, die von einem unaufgeregten, doch stets stimmigen Drumming nach vorn getrieben werden. Stimmlich verschreibt man sich dann auch eher den manchmal schreienden 80er-Jahre Clearvocals, beherrscht diese dabei souverän ohne damit jedoch wirkliche Highlights zu setzen. Trotz der erst letztjährigen Gründung wusste der Vierer, wie man Thrash Metal spielt, was sicher auch mit der Vorgeschichte bei Rusted Warhead zu tun hat. Ein netter Einstieg und für Genre-Freunde sicher eine Kapelle, die man sich mal merken kann.
Zwei Pottkapellen waren an diesem Abend am Start, womit sich das Industriethema des Abends weiter manifestierte. The Very End aus Essen war eine davon und das Quintett versuchte gar nicht erst, daraus ein Geheimnis zu machen. Die Jungs werden gemeinhin als Groove Metal gehandelt und vermögen dieses Prädikat auch eindrucksvoll auf die Bühne zu bekommen. Emotionsgeladen und aggressiv werden melodische Streubomben in die Menge geschossen, die, entweder mit tiefen Growls oder engelsgleichem Klargesang beladen, beiderseits für ordentlich Zerstörung sorgen. Mag der zweiteilige Gesang von Fronter Björn Gooßes für Freunde des gepflegten Death Metals anfangs noch etwas befremdlich sein, gewöhnt man sich schnell daran und versteht die Idee hinter dem Aufbau. Aggression und Emotionalität scheinen die zwei Triebkräfte für The Very End zu sein und beides wissen sie musikalisch gekonnt umzusetzen. Für den rhythmischen Druck war mit Jerome 'Sohn von Kreator-Drummer Ventor' Reil an diesem Abend sogar ein namentlicher Hochkaräter verantwortlich. Dass dementsprechend natürlich alles auf den Punkt kommt ist klar, alles andere wäre auch peinlich gewesen. Aber Spaß beiseite; Jerome, der ansonsten bei Final Depravity wuchtet, hat an diesem Abend schon eine klare Ansage gemacht, wie hochenergetisches Drumming klingen kann. Da schaut man auch gerne zu, wenn die musikalische Marschrichtung nicht ganz dem eigenen Geschmack trifft. Freunde des Crossover-Metals können indes gespannt sein, was von The Very End noch so kommt.
Ich bin mal ehrlich und gebe zu, dass Japanische Kampfhörspiele für mich der Hauptanreisegrund gewesen sind und vermutlich auch Schuld an der berichtübergreifenden Industriethematik sind. Das zweite Pottorchester stand nun auf der Bühne und dass das nochmal passieren wird, war vor Kurzem noch gar nicht so sicher. Doch glücklicherweise haben sich die JaKas dann mit "Welt ohne Werbung" wieder aus dem Reich der Toten zurückgemeldet, um allen mit ihrem Pop-Grind auf die Nerven zu gehen. Gut so! Dass ich aber nicht der Einzige mit Grindpräferenz auf dem Fest war, zeigte sich daran, dass man vor der Bühne plötzlich gar nicht mehr so ungestört fotografieren konnten und schon beim Opener "Die Krone der Schöpfung" alles in Wallung geriet. Kein Wunder, denn Kather, Nowak, Hoff, Freund und Bachmann waren in Bestform und hatten sichtlich Freude an ihrem angeblich ersten Konzert in Dresden. Der Osten zeigte sich auch mehr als süchtig nach diesen kleinen sozialkritischen Grindballaden, was durch Textsicherheit und Tanzfreude ausgedrückt wurde. Musikalisch bediente man sich aus allen Schaffensphasen und so ballerten dem frenetischen Pöbel Klassiker wie "Verbrennt Euer Geld", "Gekochtes Für Tiere", "Alle wollen gut aussehn'", "Verpackt in Plastik" und "Zieh' die Jacke falschrum an" entgegen. Aber auch neuere Titel wie "Cruise Missile", "Abflussbestattung", "Der neue Hitler" und "Kriterien eines perfekten Produkts" hatte das Quartett im Programm. Plötzlich wurde mit "Dresscode" der letzte Song angekündigt und man war fassungslos, wie schnell diese Stunde vorbei ging. Jetzt noch einmal alles geben ohne Rücksicht auf Verluste!
Nach diesem Massaker wurde es erst einmal ruhig, denn The Man-Eating Tree hatten ihren Slot. Die finnischen Gothic Metaller fuhren an diesem Abend einen ziemlich post-rockigen Sound, der stellenweise an Sólstafir erinnerte, aber irgendwie nicht so richtig zünden wollte. Leider zeigte sich das auch an der Publikumsdichte, die von Song zu Song stetig abnahm bzw. an der Bar, die voller und voller wurde. Dabei muss man den Jungs lassen, dass sie musikalisch alles gegeben haben und in einem anderen Line-Up sicher obenauf spielen könnten. Hier bremsten sie aber zu sehr aus und wollten mit ihrer Musik nicht so wirklich in das Konzept des Demolierens passen. Um als Gewinner aus diesem Slot zu gehen, hätte man es doch mehr krachen lassen müssen. Na gut, ab an die Bar, bevor wirklich alle dort stehen.
Anders sah es dann schon bei Nervecell aus. Die Dubaier Death Metaller ziehen derzeit brandschatzend durch die europäischen Gefilde und wussten auch im Sektor zu überzeugen. Der Mix aus technisch anspruchsvollem Death- und groovigem Thrash Metal geht gut ins Ohr, zog die Leute von der Bar weg und wurde gewohnt souverän aufs Parkett gebracht. Dabei gab es eine ausgewogene Setlist aus "Preaching Venom" ("Flesh & Memories", "Vicious Circle of Bloodshed") und "Psychogenocide" ("Amok Doctrine", "Shunq") zu hören, die mit "Human Chaos" auch einen Ausflug in die gleichnamige EP machte. Der Sektor taute sofort wieder auf und in der ersten Reihe sah man mehr lange Haare als Gesichter durch die Luft fliegen. Kann man definitiv machen!
So schnell ging dieser Abend wieder vorüber, dass man am liebsten nochmal von vorn angefangen hätte. Für sich genommen konnten alle Bands überzeugen, nur die Verteilung ist nicht ganz so optimal gelungen. Doch weiß man hier nie, wie sowas zustande gekommen ist. Mag es sein, dass The Man-Eating Tree nicht nach dem Opener spielen wollten, aber in dieser Reihenfolge wäre das wohl deutlich gängiger gewesen. Das ist dann aber auch der einzige Kontrapunkt, den man nennen könnte. Der Sektor erwies sich als ordentlicher Gastgeber, der professionell und gelassen für alle Annehmlichkeiten sorgte, die man auf einem Konzert braucht - Bier, ein nettes Team und guten Sound. Letzteres war durchweg ordentlich und es gab keinerlei Ausfälle zu beklagen. So muss das. Sogar eine Bratwurst gabs zum Abschluss noch - was will man mehr? In diesem Sinne, besten Dank an das Sektor-Team sowie Rotsteinrock! Auf die dritte Runde!