Quo vadis, Metal?

Wäre nicht die musikalische Beschallung in Lautstärke und Darbietungsform so infam diametral, es ließe sich nicht allein an den torkelnden, sowie an Zeltinnen- wie auch Zeltaußenwände pissenden Zeitgenossen, die zudem allesamt in Sachen Sachen gerne zu Leder und massivem Schuhwerk greifen, erkennen, ob es sich um den Ausflug einer niederbayrischen CSU-Ortsgruppe zum Münchner Oktoberfest, oder aber um ein Metal-Open-Air handelt. Denn ganz egal, ob die Lederhose nun schwarz und knöchellang, oder nur bis zum Knie geht und mit Stickereien und “originalen Trachtenknöpfen” verziert ist, und ob das Schuhwerk nun Kampfstiefel oder aber Bergstiefel heißt: vorm Bierfass sind alle Menschen gleich. So gleich wie ein Ikea-Regal dem anderen, inklusive der bei einzelnen Individuen extrem locker sitzenden Schrauben.

Warum sich das einzelne Subjekt aber nun entweder mehr zu Gamsbart, oder doch eher zu Gitarre und damit erzeugten Riffs hingezogen fühlt, entzieht sich leider meinem fehlenden Psychologiestudium, ich weiß nur, dass ich, seitdem mich AC/DC 1979 mit ihrem “Highway to Hell” angefixt hatten, ich ein verdammter Rock’n’Roll-Junkie bin. Doch mag hierbei die innere Veranlagung eine große Rolle gespielt haben, denn ich musste ja auch um jene Jahre herum immer an jedem Sonntagnachmittag bei meinem Großvater “Ernst Mosch und die Original Egerländer Musikanten” über mich ergehen lassen, dennoch bekam mich die Blasmusik nicht in ihre weichen, dem Intellekt ins Auge stoßende Finger. Und wer nur einmal die Musik von Herrn Ernst Mosch genießen durfte, der wird mehr als nur einen blassen Schimmer davon haben, warum Herr Mosch auf keinen Fall der Namensgeber des gleichnamigen Pits sein kann.

Wie alle Rock’n’Roll-Süchtigen folgte ich den olympischen Idealen “Höher - Schneller - Weiter”, welche allerdings auf die nun von mir favorisierte Klangwelt bezogen “Härter - Schneller - Krasser” lauteten. Auf AC/DC folgten Black Sabbath, auf Black Sabbath Carcass, auf Carcass Krisiun, auf Krisiun Zarathustra: meine Plattensammlung, mein CD-Regal: eine Chronologie der sich steigernden musikalischen Raserei. Den Gedanken allerdings, dass Metal auch nur das Geringste mit Rebellentum zu tun haben könnte, verwarf ich bereits kurz nach Bon Scott’s Tod, denn wenn alle Menschen, die des Suffes wegen verreckt sind, Rebellen, Revolutionäre gewesen wären, so müsste unsere heutige Welt doch definitiv eine weitaus bessere sein.

Besonders dem Black Metal, der sich ja bekanntlich den Nihilismus und die Misanthropie auf die Gitarrenhälse geschrieben hatte, opferte ich so manche dunkle Herbststunde, in der ich - mich bebiertrinkend und Mayhem und Darkthrone per Kopfhörer aufsaugend - all meine Wut auf die Sinnlosigkeit des Seins, meine Verzweiflung, meinen Selbsthass auf meine Umwelt projizierte, und die Vernichtung der gesamten Menschheit plante. Allerdings machte ich trotz meiner bis ins blutige Detail ausgeklügelten Pläne aus meiner näheren Umgebung keine zweiten Killing Fields, was wohl meiner damaligen körperlichen Trägheit geschuldet war, und ich noch nie davon gehört hatte, dass es als Alternative auch so etwas wie Amok fahren gäbe. Heute, um einige Quadratzentimeter Geheimratsecken reicher, weiß ich, dass der wahre Misanthrop nicht angesoffen und mit Funkkopfhörer auf dem Schädel seinen Laub kehrenden Nachbarn meuchelt, denn wer wirklich abgrundtief alles Menschliche hasst, der studiert fleißig Politikwissenschaft, macht Karriere in der FDP und wird im Nebenjob Waffenlobbyist. Da kriegt man dann das Morden nämlich sogar überaus großzügig bezahlt.

Auch die Problematik des mit dem Black Metal einhergehende Satanismus bereitete mir zunehmend Schwierigkeiten, da ich als Atheist doch an gar keinen Gott glaubte, doch wenn es diesen für mich also gar nicht gab, konnte es logischerweise auch nicht seinen von der Bibel zugewiesenen Antipoden geben. Ich löste dieses mir viele schlaflose Arbeitstage bereitende Problem, indem ich den Begriff “Satan” einfach durch “Helmut Kohl” ersetzte, was vielen Songs eine durchaus komische Note verlieh und unzähligen Textpassagen endlich einen klaren und besonders tiefen Sinn gab. Seitdem ich mich allerdings mit der Unvernunft des Daseins so gut wie es eben nur möglich ist arrangiert habe, bevorzuge ich heutzutage Bands á la Amon Amarth, Primordial oder auch Varg, da deren Musik es am Besten versteht, die Sehnsüchte meines gottlosen Naturells zu bestätigen, musikalisch zu beglaubigen, wenn auch nicht endgültig zu stillen. Doch bin ich natürlich stets offen für neue Bands, sofern diese nur kreativ und beseelt genug scheinen, auch wenn ich zugebe, in all den Genre und Subgenre des Metals längst die Orientierung verloren zu haben. Ganz zu schweigen vom Überblick über die fast im Minutentakt erscheinenden Veröffentlichungen junger und mehr oder weniger aufstrebender Bands. Metalbands schießen wie Boletus edulis aus von warmen Sommergewittern getränktem Waldboden; spuckst du vom Dach eines Hochhauses, triffst du garantiert den Kopf eines Gitarristen, spuckst du noch mal, dann zu 98 Prozent den Kopf eines grunzenden Shouter, Riffs und Leads en masse und überall: myspace.com sei Dank!

Doch es wird nicht nur auf den Bühnen der Metalclubs enger, auch vor den Bühnen drängelt sich, was vor Jahren dort noch weggedrängelt wurde. So stelle ich mir insbesondere bei Veranstaltungen, bei denen Kapellen des immer beliebter werdenden Paganmetals zum Tanze aufspielen, immer öfter die Frage, nachdem ich einen kurzen Blick in den Saal geworfen habe, ob dies denn wirklich noch eine Metalveranstaltung ist, oder ob es sich doch eher um eine musikalisch umrahmte Schulungsmaßnahme der Nachwuchsorganisation einer Partei, die 1964 wie ein hämisch grinsender Phönix aus der kalten Asche eines Hamburg, eines Dresden und eines Berlin emporgestiegen ist, handelt. Denn wenn ich mir die Shirts, die Patches, die Haarschnitte und die Gesten eines gewissen Anteiles der Gäste betrachte, dann ist mein erster, spontaner Gedanke zumeist ‘Gibt’s das Horst-Wessel-Lied jetzt etwa schon mit Doublebass und in gekeift?!’.

Um eines klarzustellen: ich akzeptiere jede politische Meinung, egal wie verschroben mir diese auch meinem Verstand vorkommen mag, solange man mir diese nicht mit Gewalt und Stiefel in meinen Schädel treten will.
Und es kann ja durchaus sein, dass sich gewisse politische Kreise durch die Themen Vaterland, Schlachten, Stolz und Ahnenkult, welche im Paganmetal nun mal eine nicht geringe Rolle spielen, angelockt werden. Doch kann ich mir als gottloser Metalhead nicht vorstellen, dass ich den Gott, den ich zum gleichfalls nicht existenten Teufel schickte, durch einen neuen Götzen ersetzen sollte, dazu, wenn dieser Seitenscheitel und einen extrem hässlichen Schnauzbart trägt. Schließlich trage ich meine Stiefel, um meine Zugehörigkeit zum Metal zu zeigen, und nicht etwa, um mit den schweren Sohlen Richtung Anpassung zu marschieren. Und um diesen illustren Gästen der benannten Metalveranstaltungen mal in die Suppe zu spucken (auch wenn mich das Thema, worauf man denn überhaupt Stolz sein könne, nur noch zwanghaft gähnen lässt!) so werde ich aber dennoch nicht müde, darauf hinzuweisen, dass man doch nur darauf stolz sein kann, was man mit den eigenen Händen, dem eigenen Geist erschaffen hat, und nicht auf das, was Urururgroßvater vor Urzeiten mal aus welchen Gründen auch immer so anstellt hat. Da könnte ich ja genauso gut auch auf das Stolz sein, was mein noch ungeborener Urenkel zukünftig mal vollbringen könnte. Was andere Menschen taten, tun oder tun werden ist in keiner Weise (Achtung: Wortneuschöpfung!) bestolzenswürdig. Blutsbande sind kein Gutschein für imaginäre Lorbeerkränze.

Und ich glaube außerdem, dass meine Ahnen sich wohl kaum von den Ahnen anderer Völker unterschieden: sie aßen und hungerten, sie soffen und vögelten, strotzten dem Acker mühsam magere Ernten ab, und wenn irgend so einem Majestetix auf seinem Throne nach Krawall war, zogen sie ihr rostiges Schwert unterm Strohsack hervor und holten für den dummdreisten Dödel die Kastanien aus dem Feuer und stahlen nebenbei der erschlagenen Nachbarn Frauen und schändeten deren Vieh.
Wer sein Vaterland wirklich liebt, der sollte, statt fahneschwenkend und krakeelend über Geschichte heuchelnde Plätze zu ziehen, lieber einen Baum pflanzen und nicht mit seinem Mountainbike durchs Naturschutzgebiet brettern, damit wäre seiner geschundenen Heimat nämlich weit mehr geholfen. Nationalismus ist, man schaue in den Kosovo, niemals Bewegung, sondern stets nur Stillstand, denn Mord und Totschlagen waren noch nie besonders progressiv, sondern nur allzu konservativ und altbacken. Und Hassen war noch nie ausnehmend elitär - hassen tut jeder Dorftrottel, es ist verbreitet wie Akne und fettiges Haar. Doch ein freier Geist, ein unbeugsamer Willen ist stark genug, um sich diesem Hass zu widersetzten. Egal, ob es der in seinem Inneren ist, oder ob er von Außen kommt. So haben und hätten auch unsere Ahnen etwas, worauf sie, wenn sie es denn für existenziell halten sollten, stolz sein könnten. Wer aber unbedingten Wert auf einfache, verstaubte Wertvorstellungen legt, der sollte auf keine Metalkonzerte, der sollte lieber mit der CSU-Ortsgruppe aufs Oktoberfest fahren.
Lasst Euch gesagt sein: Ein Headbanger braucht keine Kameraden, keinen Gott und keine falschen Götzen an seiner Seite. Denn Bon Scott hat den Highway to Hell nur besungen. Aber gehen, gehen muss man ihn nicht.


Anmerkung: Diesen Text veröffentlichte ich auch schon in meinem Blog und auch als Leserbrief im Legacy-Heft. Ich denke aber, er passt genau hier her und hat an Aktualität nicht verloren.
Und die Shirts zum Text gibt es auf www.metalpolizei.de.